Abschuss-Kritik: Sind die Wölfe die nächsten Klimaseniorinnen?

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Die «Berner Konvention» sieht die Schweizer Wolfspolitik kritisch. Ein Entscheid im Herbst könnte einen Aufschrei wie bei den Klimaseniorinnen auslösen.

Wolf Wildnispark Langenberg
Ein Wolf im Wildnispark Langenberg, aufgenommen am Freitag, 8. Dezember 2023 in Langnau am Albis ZH. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei den Artenschutz-Wächtern der «Berner Konvention» wurde eine Beschwerde eingereicht.
  • Die Abschüsse von ganzen Wolfsrudeln werden in einer ersten Stellungnahme kritisiert.
  • Es werden Erinnerungen wach an den Erfolg der Klimaseniorinnen in Strassburg.

Gewisse Tierarten dürfen in Europa nur in Ausnahmefällen bejagt, gehandelt, oder, wie es offiziell heisst, «reguliert» werden. Dafür sorgt die «Berner Konvention», ein Vertrag des Europarats. Die Wildkatze und der Zaunkönig, die Grüne Mosaikjungfer und die Abruzzen-Gämse stehen alle im Anhang II der «streng geschützten Tierarten». Und auch der Wolf – weshalb der Schweiz nun weiteres Ungemach droht.

Abschüsse von Wolfsrudeln: «höchst besorgniserregend»

Zwar kennt die «Berner Konvention» insbesondere bei Raubtieren auch Ausnahmeregelungen. Doch der Verein CHWOLF hat Beschwerde eingereicht wegen des von Bundesrat Albert Rösti eingeführten Abschusses von ganzen Wolfsrudeln. Nun liegt eine erste Stellungnahme des Präsidiums der «Berner Konvention» vor: Die Vorwürfe seien «höchst besorgniserregend».

Europarat
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates in Strassburg. - dpa

So steht es im Bericht zur Sitzung des Präsidiums von Mitte März, der jetzt veröffentlicht wurde. Ein Europarats-Gremium, welches den Bundesrat kritisiert: Das kommt uns doch irgendwie bekannt vor. Bis im Herbst erwartet die «Berner Konvention» von Bundesrat und Beschwerdeführern mehr Informationen. Dann könnte ein Entscheid fallen – und ein reflexartiger Aufschrei durch die Schweizer Politlandschaft gehen: Die Wölfe könnten die neuen Klimaseniorinnen werden.

Wölfe, Klimaseniorinnen und Entscheide «aus Bern»

Aktuell enervieren sich breite Kreise, dass sich «Strassburg» in unsere Demokratie einmischen wolle, nachdem dort die Klimaseniorinnen recht erhalten hatten. Ähnlich kontrovers könnten Reaktionen ausfallen, wenn die Schweizer Wolfspolitik von aussen in die Kritik gerät. Nur werden dann Entscheide aus Bundesbern von der «Berner Konvention» kritisiert, quasi aus der direkten Nachbarschaft.

Klimaseniorinnen
Die Klimaseniorinnen freuen sich über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMRK). - keystone

Doch das ist gleich auf mehreren Ebenen nur die halbe Wahrheit. Denn die «Berner Konvention» heisst zwar schweizerisch, ist wie der Europarat aber in Strassburg angesiedelt. Umgekehrt ist aber die «Berner Konvention» gar nicht so ausländisch: Schliesslich hat die Schweiz den in Bern beschlossenen Vertrag 1979 unterschrieben.

Soll sich die Schweiz an den Artenschutz halten, wie er in der «Berner Konvention» festgehalten ist?

Grosse Teile unserer Naturschutzgesetzgebung berücksichtigen dieses Regelwerk, selbst in den Direktzahlungen an die Landwirtschaft hat es Spuren hinterlassen. Kommt die «Berner Konvention» zum Schluss, Bundesbern verletze den Vertrag, heisst das dann wohl: Liebe Schweiz, wir weisen Dich freundlich darauf hin, dass Du Dich nicht an Deine eigenen Gesetze hältst.

Unverblümtes Erstaunen über Schweizer Vorgehen

Liest man die nun publizierte erste Stellungnahme zu den Wolfsrudel-Abschüssen, scheint eine definitive Kritik an Bundesrat Rösti im Herbst wahrscheinlich. Denn das Präsidium der «Berner Konvention» zeigt sich doch sehr erstaunt über die Argumentationslinie der Schweizer Behörden.

wolf herdenschutz
Rösti-Gegner demonstrieren auf dem Bundesplatz gegen die proaktive Wolfsregulierung. - Keystone

Die Einführung einer Schwelle von 12 Wolfsrudeln sei «willkürlich». Es gehe nicht an, die Wolfspopulation durch Abschüsse auf die minimal lebensfähige Grösse zu reduzieren. Solches sei nur bei schwerwiegenden Schäden möglich. Deshalb fordert das Präsidium eine Klarstellung, was als «schwerwiegend» oder «erheblich» gelte.

Zudem sollen die Behörden darlegen, was denn als zufriedenstellender Zustand angesehen werden könnte. Zwischen den Zeilen liest sich dies als: Am liebsten hättet ihr wohl einfach alle Wölfe abgeschossen und traut euch nur nicht, es zu sagen. Auch einen Seitenhieb kann sich das Präsidium nicht verkneifen: Begründet würden die Abschüsse mit einem sozialen Konflikt – doch dieser sei durch die Abschüsse ja gar nicht gelöst worden.

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