Auch in der Schweiz nimmt Gewalt gegen Politiker zu
Deutschland leidet unter einer Welle der Gewalt gegen Politiker. Hierzulande sind ähnliche Trends zu beobachten: Die wachsende Polarisierung steht am Ursprung.
Das Wichtigste in Kürze
- Deutschland wird von einer Gewaltwelle gegen Politiker und Politikerinnen heimgesucht.
- Auch in der Schweiz lassen sich ähnliche Trends beobachten, warnen Experten und Fedpol.
- Die Gewalt erreicht hierzulande aber nicht das gleiche Niveau – und bleibt meist verbal.
- Am Ursprung der Entwicklung steht die wachsende Polarisierung bei verschiedenen Themen.
Bespuckt, beleidigt, bedroht, bedrängt oder sogar physisch attackiert – Deutschland leidet derzeit unter einer Welle der Gewalt gegen politische Amtsträger: Alleine im Jahr 2023 haben die Behörden insgesamt 2790 Angriffe gegen Vertreter politischer Parteien verzeichnet. Im Vergleich zum Jahr 2019 entspricht dies fast einer Verdoppelung – die Lage scheint sich zuzuspitzen. Die meisten der Vorfälle sind Äusserungsdelikte wie Gewaltandrohungen und Beleidigungen.
Im Bereich der physischen Attacken sind ausgerechnet AfD-Politiker dem grössten Hass ausgesetzt: Sie sind in mehr als 40 Prozent der tätlichen Angriffe in der Opferrolle. Zwischen 2019 und 2023 wurden AfD-Vertreter 469 Mal körperlich angegriffen. An zweiter Stelle der unrühmlichen Rangliste folgen die Grünen mit 213 Fällen physischer Gewalt im gleichen Zeitraum.
Zunehmende Gewaltbereitschaft auch in der Schweiz
Politiker vermuten eine allgemeine Verrohung der Sitten und zunehmende Gewaltbereitschaft am Ursprung des Problems. Die Gewalt richte sich indes längst nicht nur gegen Amtsträger, sondern vermehrt auch gegen Feuerwehrleute, Polizisten, Lehrer oder Sanitäter. Schnell drängt sich die Frage auf: Handelt es sich hierbei um ein exklusiv deutsches Problem – oder sind hierzulande ähnliche Prozesse zu beobachten?
Für Extremismusexperte Dirk Baier steht fest, dass auch die Schweiz nicht gänzlich von diesen Entwicklungen verschont bleibe: «Allerdings beschränkt sich die Gewalt hierzulande weitestgehend auf verbale Formen – Beleidigungen, Drohungen und Konsortien.» Viele dieser Handlungen würden überdies im Online-Bereich erfolgen, erklärt der Experte.
Glücklicherweise seien körperliche Angriffe in der Schweiz nämlich sehr selten, wie Baier betont: «Ferner wird das hohe Niveau von Gewalt gegen Politiker, das in Deutschland derzeit zu beobachten ist, hierzulande nicht erreicht.»
Anhaltend hohe Anzahl Drohungen seit Corona-Pandemie
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) ist für den Schutz von Mitgliedern des Bundesrats, des Bundesparlaments sowie besonders gefährdeten Bundesangestellten zuständig. Der Blick in die Fedpol-Zahlen bestätigt die Einschätzung des Experten.
Auf Anfrage von Nau.ch erklärt die Medienstelle: «Seit der Aufhebung der Corona-Massnahmen werden derzeit weniger Drohmeldungen registriert. Die Anzahl der Drohungen gegenüber Schutzpersonen des Bundes ist aber nach wie vor erhöht.»
Der besorgniserregende Inhalt und gewaltvolle Ton dieser Drohungen halte seit Beginn der Corona-Massnahmen an. Neben den gemeldeten Drohungen gehe Fedpol überdies von einer «gewissen Dunkelziffer» aus: «Wir vermuten, dass die gemeldeten Fälle nur die Spitze des Eisbergs ausmachen.» Entscheidend sei aber ohnehin nicht die Anzahl der Meldungen an sich – sondern deren Inhalt und die Art der Drohung.
Wachsende Polarisierung als zentraler Treiber
Am Ursprung vermutet Fedpol polarisierende Themen, die angesichts der politischen Lage in der Schweiz und weltweit vermehrt für Diskussionen sorgen: «Diese können bei Bürgerinnen und Bürgern nach wie vor emotionale Reaktionen auslösen. Nicht selten münden solche emotionalen Reaktionen in Drohungen gegenüber Vertreterinnen und Vertretern von Schweizer Institutionen.»
Auch der Extremismusexperte nennt diese gesellschaftliche Polarisierung als zentralen Treiber der zunehmenden Aggressivität. Die Corona-Pandemie wiederum scheint eine Art katalysierende Wirkung entfaltet zu haben: «Die staatlichen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie wurden heftig kritisiert – dies ist prinzipiell in einer Demokratie kein Problem.»
Die hitzigen Diskussionen hätten zu einer wachsenden Emotionalisierung der Debatte geführt: «Befürworter und Kritiker stehen sich immer unversöhnlicher gegenüber. Je stärker man diese Unterschiedlichkeit in einem Freund-Feind-Schema betrachtet, desto stärker steigt die Bereitschaft, den ‹Feind› abzuwerten und zu bekämpfen.» Ähnliche Prozesse könne man derzeit bei anderen Themen beobachten. Beispielsweise bei der Klimadebatte, der Energiediskussion oder der Frage nach der Stellung der Schweiz im Ukraine-Krieg.
Melden, helfen und bestrafen
Mit Blick auf das grosse Dunkelfeld ermahnt Dirk Baier die Betroffenen, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen: «Dies schafft ein Bewusstsein und führt dazu, dass der eine oder andere auf das Absenden einer Hassnachricht verzichtet.»
Daneben seien aber auch die Strafverfolgungsbehörden gefordert, betont der Experte. «Repression ist in dieser Hinsicht wichtig, um zu zeigen, dass gegenüber Politikern dieselben Spielregeln gelten, wie gegenüber anderen Menschen.»
Schliesslich müsse die Politik selbst Hand bieten und ihren Repräsentanten in solchen Fällen bestmöglich den Rücken stärken: «Dies geschieht derzeit beispielsweise im Kanton Zürich in einem Pilotprojekt, bei dem sich Betroffene melden können und einen Rechtsbeistand erhalten.»