So steht es um die Polarisierung in der Schweiz
Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer stufen sich als links oder rechts ein: die Polarisierung nimmt also zu. Was das bedeutet.
Das Wichtigste in Kürze
- Die politische Polarisierung nimmt in der Schweiz zu.
- Zudem denken immer mehr Menschen, anderen fehle es an Einfühlsamkeit.
- Politologen empfehlen, das Gespräch mit Andersdenkenden zu suchen.
Die Schweiz hat eines der fragmentiertesten und polarisiertesten Parteiensysteme weltweit. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern viele Parteien: Und die grössten zwei (SVP und SP) befinden sich an den jeweiligen Polen des rechts-links-Spektrums.
Diese Polarisierung ist im Laufe der Jahre ausgeprägter geworden, stellt eine Studie der Universität Lausanne fest, wie der «Tagesanzeiger» schreibt. Während sich 1987 noch 45 Prozent der Wählenden als politisch mittig einstuften, waren es 2019 nur noch 18 Prozent. Schon nur in den vier Jahren zwischen 2011 und 2015 hat dieser Anteil um 16 Prozent abgenommen.
Gemäss Forschenden sind aber nicht beide Seiten gleichermassen ins Extreme gekippt: Die FDP- und SVP-Wählenden seien demnach bis 2019 stark nach rechts gerutscht. Die SP- und Grüne-Basis sind zwar nach links gerutscht, aber weniger stark. Im internationalen Vergleich liegen diese Parteien dennoch sehr weit auseinander; in anderen Ländern befinden sich die Parteien tendenziell eher in der Mitte.
Hierzulande ist laut zwei Studien aus den USA die «affektive Polarisierung» verglichen mit dem Ausland ebenfalls sehr hoch: Das heisst, dass die Wählenden ihrem politischen Lager gegenüber sehr positiv eingestellt sind. Anderen Parteien gegenüber sind sie währenddessen eher missgünstig eingestellt.
Auch spannend sind Daten zum empfundenen Empathievermögen der Landsleute. Laut dem Forschungsinstitut «Sotomo» haben früher Schweizerinnen und Schweizer ihren Mitmenschen mehr Einfühlsamkeit zugeschrieben: Heute sagen 77 Prozent der Befragten, hierzulande nehme die Empathie mit anderen ab.
Reiche Menschen werden als unempathisch eingeschätzt
«Frauen» gelten als die einfühlsamste, «Reiche» dafür als die unempathischste Bevölkerungsgruppe: 51 Prozent der Studien-Teilnehmenden nehmen bei reichen Menschen wenig Einfühlsamkeitsvermögen wahr. 36 Prozent der Teilnehmenden sagten dies über die Gruppe «politisch rechts Eingestellte». Politisch linken Menschen sagten dies nur 14 Prozent der Befragten nach.
Zudem ist die Intoleranz in der Schweiz laut einer Studie des Bundesamts für Statistik von 2022 hoch: Viele Menschen ohne Migrationsgeschichte stören sich an anderen, wenn diese eine andere Hautfarbe haben, Religion ausüben oder Sprache sprechen.
Laut einer Umfrage des Bundes sind es 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer. Dieser Anteil steigt auf 60 Prozent, wenn nur politisch als rechts selbsteingestufte Menschen befragt werden. Bei «linken» Personen sind es 20 Prozent.
Gemäss Politikwissenschaftler Ivo Scherrer ist das alles nicht so schlimm. Gegenüber der Zeitung sagt er, das schweizerische politische System vertrage Polarisierung. Es werde erst problematisch, wenn eine bestimmte Gruppe für alle Probleme in der Gesellschaft verantwortlich gemacht würde; und wenn alles besser wäre, gäbe es diese Gruppe gar nicht.
Negative Vorurteile gegen andere, insbesondere gegen Minderheiten wie Juden, Muslimen oder Dunkelhäutige, würden so schnell nicht abgebaut. Scherrer sieht Politik und Medien in der Verantwortung: Diese sollen «Ressentiments nicht befeuern».
Das Gespräch mit den anderen zu suchen sei immer noch das beste Heilmittel gegen Polarisierung und Intoleranz: «Oft merken wir, dass wir trotz unterschiedlicher politischer Positionen doch mehr gemeinsam haben, als wir denken.» Zu den Resultaten der wahrgenommenen Empathie sagt Scherrer: «Viele Menschen fühlen sich offensichtlich zu wenig gehört, gesehen und wertgeschätzt.»