Beim Bürgerrecht soll laut Ständerat die Abstammung entscheiden
Wer in der Schweiz geboren wird, soll nicht automatisch Schweizer sein. Weiterhin soll die Abstammung ausschlaggebend sein, so der Ständerats-Beschluss.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein angestossener Systemwechsel beim Schweizer Bürgerrecht wurde vom Ständerat abgelehnt.
- Wer in der Schweiz geboren wird, soll auch künftig nicht automatisch Schweizer sein.
- Karin Keller-Sutter argumentierte, dass die Zuwanderung sonst unsteuerbar werde.
Der Ständerat will keinen Systemwechsel beim Schweizer Bürgerrecht: Wer in der Schweiz geboren ist, soll auch künftig nicht automatisch die Schweizer Staatsbürgerschaft erhalten.
Die kleine Kammer hat am Dienstag eine entsprechende Motion abgelehnt. Die kleine Kammer fällte ihren Entscheid mit 29 zu 13 Stimmen ohne Enthaltungen. Die Motion ist damit vom Tisch.
Paul Rechsteiner (SP/SG) forderte den Übergang zum sogenannten ius soli. Dabei wäre der Geburtsort einer Person für die Staatsangehörigkeit entscheidend gewesen. Nach heutiger Rechtslage gilt das ius sanguinis – den Ausschlag gibt die Herkunft der Eltern.
Rechsteiner machte für seinen Vorstoss menschenrechtliche und demokratiepolitische Gründe geltend. Wer hier geboren und aufgewachsen sei, solle als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt werden. Heute könne mehr als ein Viertel der Bevölkerung nicht stimmen und wählen. Dies, obwohl die Schweiz in Wahrheit die Heimat vieler Betroffener sei.
Der St. Galler SP-Ständerat verwies in der Ständeratsdebatte auf die im internationalen Vergleich sehr späte Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz. Demokratische Rechte hätten stets erkämpft werden müssen «Wir sind heute nicht mehr eine halbierte Demokratie, aber leider eine Dreiviertel-Demokratie.»
Viele Menschen keine Chance auf Einbürgerung
Heute hätten viele Menschen keine reale Chance auf eine Einbürgerung. Etwa, weil ihre Eltern in ihrer Jugend oft umgezogen seien, so Rechsteiner. Die zentrale Rolle der Gemeinden im heutigen Einbürgerungssystem sei der Situation des 19. Jahrhunderts geschuldet, als die Heimatorte für armengenössige Bürgerinnen und Bürger hätten sorgen müssen.
Auch das Abstimmungsprinzip habe damit zu tun, dass die Schweiz im vorletzten Jahrhundert ein Auswanderungsland gewesen sei, fügte Rechsteiner an. Man habe damit die Ausgewanderten an die alte Heimat binden wollen. Heute sei die Schweiz längst ein Einwanderungsland. «Wir müssen beginnen, über die heutigen Realitäten nachzudenken.»
Rechsteiner betonte zudem: Die Schweiz habe sich nie als ethnisch oder sprachlich homogene Einheit verstanden. Entscheidend für ihren Zusammenhalt seien vielmehr geteilte politische Werte. Diesem Umstand trage das ius soli Rechnung.
Sutter: Einwanderung würde unsteuerbar
Kritik erntete der Vorstoss vonseiten der Urner Mitte-Ständerätin Heidi Z'graggen. Das heutige System sei von der Bevölkerung akzeptiert und so gewollt.
Und es habe einen grossen Vorteil: «Die Gemeinden kennen die Einbürgerungswilligen.» Das ius soli wäre aus Sicht von Z'graggen eine fundamentale Abkehr von der Tradition. Und es könnte dazu missbraucht werden, Einwanderungsbeschränkungen zu umgehen.
Marco Chiesa (SVP/TI) sagte: Die Neuregelung würde vor allem zur Einbürgerung von Personen führen, die nach heutigem Recht die Anforderungen nicht erfüllten.
Der Bundesrat empfahl die Motion zur Ablehnung. Mit einem Automatismus könnte die Schweiz die Einbürgerungen und letztlich auch die Zuwanderung nicht mehr genügend steuern. Dies sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter in der Debatte.
Das heutige Einbürgerungssystem berücksichtige die Menschenrechte und die Situation in der Schweiz geborener Personen ausreichend, argumentierte die Landesregierung weiter. Das Einbürgerungsverfahren stelle sicher, dass jemand gut integriert sei und keine Gefahr für die Sicherheit der Schweiz darstelle.
Der Bundesrat widersprach insbesondere der Kritik Rechsteiners. Für viele junge Ausländerinnen und Ausländer der zweiten Generation sei heute eine Einbürgerung faktisch unmöglich. Etwa wegen Wohnortswechseln oder weil die Eltern Sozialhilfe bezögen. Das Gesetz habe für diese Fälle schon heute Vorkehrungen getroffen.
Secondos sollten erleichterte Einbürgerung erhalten
Oppositionslos hat die kleine Kammer am Dienstag dagegen eine Motion von Ständerätin Lisa Mazzone (Grüne/GE) zum Thema Einbürgerungen seiner Staatspolitischen Kommission (SPK-S) zur Prüfung zugewiesen.
Mazzone will in der Bundesverfassung festschreiben, dass der Bund nicht nur wie bis anhin die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation erleichtert, sondern auch jene von Secondas und Secondos – also für Personen, deren Eltern in die Schweiz eingewandert sind.
Eine Verfassungsänderung zur erleichterten Einbürgerung der sogenannten Enkelgeneration hatten Volk und Stände im Februar 2017 angenommen - die entsprechende gesetzliche Neuregelung brachte Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern unter anderem tiefere Gebühren.
Der Bundesrat empfiehlt die Motion Mazzones zur Ablehnung. Die Zuständigkeit für die Einbürgerung von Secondas und Secondos solle bei den Kantonen und Gemeinden verbleiben. Denn diese könnten am besten beurteilen, ob jemand die Voraussetzungen erfülle.
Bei einer Annahme des Vorstosses würden die Kompetenzen von Kantonen und Gemeinden zu stark beschnitten, so die Landesregierung. Dadurch, dass die Jahre, die jemand zwischen dem achten und dem 18. Lebensjahr in der Schweiz verbringe, bei der Aufenthaltsdauer doppelt angerechnet würden, bestehe zudem schon heute eine Erleichterung.
Die erleichterte Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern der zweiten Generation war in der Vergangenheit mehrfach Thema von Volksabstimmungen. 2004 wurde eine entsprechende Vorlage von Volk und Ständen verworfen. 1994 sagte zwar das Volk Ja dazu, doch scheiterte eine Neuregelung am Ständemehr.
Das letzte Wort würden bei einem Ja des Parlaments auch diesmal Volk und Stände haben, da für eine neue Bundeskompetenz die Bundesverfassung geändert werden muss.