Claude Longchamp benotet Bundesrat und Parlament in Corona-Krise
Fehlende parlamentarische Kontrolle und mangelhafte Vorbereitung: Bundesrat und Parlament erhalten nicht immer Bestnoten. Aber auch.
Das Wichtigste in Kürze
- Politologe Claude Longchamp verteilt Noten für die Politik in Zeiten des Coronavirus.
- Der Bundesrat habe in der Corona-Krise nicht nur eine gute Figur gemacht.
- Auch beim Parlament sieht er Kritikpunkte. Es erhält gar weniger Lob als der Bundesrat.
Alles richtig gemacht hat in der Corona-Krise natürlich niemand. Einiges hätte man trotzdem besser machen können, findet Politologe Claude Longchamp. Bundesrat und Parlament erhalten zwar Lob, aber auch nur genügende Noten. Corona-Session und Lockdown-Lockerungen: Die Politik ist mit der Pandemie gefordert, aber manchmal auch überfordert.
Abbruch der Session ein No-Go
Als «einen der grössten Schwachpunkte» sieht Longchamp den Abbruch der Frühlingsession Ende März: «Das geht nicht.» Die Schweiz sei sich nicht gewohnt an Instrumente, die ohne ein Parlament funktionierten. Das Parlament tage zwar nicht permanent. Aber in der Zwischenzeit tagten ja die Kommissionen und insbesondere Delegationen mit ihren «Superkompetenzen».
Genau im jetzt heikelsten Punkt, nämlich der Frage des Notrechts, gebe es diese Delegation aber nicht. «Also quasi sechs Super-Parlamentarier aus National- und Ständerat, wie wir das bei den Finanzen und der Geschäftsprüfung haben.» So aber habe man die Verhältnismässigkeit des Notrechts nicht beurteilen können.
Fehlende «Rechtsdelegation» als grosses Manko
«Da sind halt Diskussionen entstanden: Darf man demonstrieren oder nicht, da gehen die Meinungen auseinander, auch unter Juristen.» Mit einer sauberen Regelung, eben einer Rechtsdelegation, wäre das viel einfacher, so Longchamp. «Dann könnte man sagen, das ist abgesegnet bis zur nächsten Tagung des Parlaments.»
Analog zur Finanzdelegation des Parlaments wäre eine Rechtsdelegation aus sechs Mitgliedern der Rechtskommission, repräsentativ verteilt auf die Parteien, zusammengesetzt. So wäre auch der Bundesrat aus der Schusslinie: Seine Notrechts-Entscheide wären breiter abgestützt.
Auch blamabel: Der Nichtentscheid bei den Geschäftsmieten
Immerhin: In der Sondersession diese Woche hat das Parlament vieles nachgeholt. «Als Ganzes hat das Parlament gute Arbeit geleistet», urteilt Longchamp. Worauf natürlich ein «aber…» folgt. Drei akut diskutierte Probleme sieht Longchamp, alle mit nicht wirklich abschliessenden Lösungen.
Als Erstes die Ausrichtung der Swiss, nachdem man ihr zusätzliches Geld gibt. Hier habe das Parlament keine Lösung gefunden, sondern es bei einem einfachen Bundesbeschluss belassen.
Zweitens die Frage der Dividenden-Ausschüttung bei gleichzeitiger Kurzarbeit. «Hier hat sich das Parlament für eine sehr juristische Argumentation entschieden. Das war wohl richtig, hinterlässt aber etwas den Nachgeschmack, dass es moralisch nicht korrekt ist.» Hier bleibe für die Parteien Handlungsbedarf.
Die grosse Schwachstelle der Sondersession sei aber die Frage der Geschäftsmieten gewesen. «In beiden Kammern gab es sogar eine Mehrheit, etwas zu tun! Dummerweise nicht für das Gleiche.» Dieses Thema hinterlasse einen bleibenden Eindruck, den des Versagens.
Bundesrat: Bestnoten nur für den Lockdown
Der Bundesrat hat für Longchamp während der Pandemie nicht immer eine glückliche Hand bewiesen. Beziehungsweise schon lange vor Ausbruch der Krise. «Natürlich, im Nachhinein weiss man es besser. Aber mit Präventionsmassnahmen versucht man ja im Voraus zu wissen, zu lehren und einzuüben.»
Die Pandemie sei seit 2015 als die zweitgrösste Gefahr für die Schweiz bekannt gewesen. «Kosten von 80 Milliarden Franken standen im Raum – also eigentlich hat man das gewusst.» Vieles sei noch gar nicht bekannt, aber die fehlenden Masken- und Desinfektionsmittel-Reserven immerhin schon. Für die Vorbereitung vergibt Longchamp lediglich die Note 4.
Geglänzt habe die Landesregierung dagegen mit dem Lockdown. «Eine typisch schweizerische Lösung: Eine harte Massnahme, die aber gleichzeitig auch auf Eigenverantwortung aufbaut.» Das habe die Bevölkerung mit eingebunden und die Wirkung sei rasch eingetreten. Der einheitliche, geschlossen auftretende Bundesrat erhält im Fach «Lockdown» eine 6.
Ausscherende Bundesräte Maurer und Cassis
Mehr Mühe und weniger Einheit habe der Bundesrat bei der Lockerung der Massnahmen gezeigt, so Longchamp. Deshalb gibt es hier auch nur Note 5. Die nachträgliche Korrektur bei den Sortimenten der Grossverteiler kreidet Longchamp dem Bundesrat an, denn so wirke man nicht entschlossen.
«Es gab auch einzelne Stimmen aus dem Bundesrat, die abweichend ihren Standpunkt dargelegt haben.» Gemeint sind Finanzminister Ueli Maurer und Aussenminister Ignazio Cassis, die eine schnellere Öffnung forderten. «Das sind in einer Notsituation keine guten Signale.»