Coronavirus: Eklat um Impfdosen-Verträge spitzt sich zu
Bei der Impfstoff-Beschaffung kam es zu groben Unregelmässigkeiten. Selbst die SP will die «massiven» Fehler aufarbeiten. Es geht um Millionen-Beträge.
Das Wichtigste in Kürze
- 33 Millionen Impfdosen gegen das Coronavirus soll die Schweiz dieses Jahr erhalten.
- Doch bei der Beschaffung «sind Fehler passiert», sagt SP-Nationalrätin Sarah Wyss.
- Die Rede ist von zwei Impfstoff-Verträgen, die nicht durch das Parlament bewilligt wurden.
Die Mitglieder der nationalrätlichen Finanzkommission mussten am Mittwoch früh aus den Federn. Bereits um 6.15 Uhr wurden sie im Bundeshaus über Fehler bei der Impfstoff-Beschaffung informiert.
Der Bund war durch die ganz grossen Namen vertreten. Offenbar standen Gesundheitsminister Alain Berset, Finanzminister Ueli Maurer und Anne Lévy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit, Rede und Antwort.
Es geht um den Kauf von 33 Millionen Impfdosen gegen das Coronavirus; Stand heute in den Augen fast aller offensichtlich viel zu viel. Dabei räumten die Bundesräte offenbar Fehler ein.
Nationalrat sagt Ja zu Bundesrats-Vorschlag
Trotzdem stimmte der Nationalrat nach ausführlicher Debatte und Kropfleerete im Sinne des Bundesrats. Für Impfstoffbeschaffung bewilligte er 780 Millionen Franken im Budget. Anträge für eine leichte Kürzung oder gar mehr als eine Halbierung auf 300 Millionen Franken scheiterten.
Mitentscheidend dürfte das Argument gewesen sein, dass ansonsten die fraglichen Verträge nichtig würden. Bei einer Neuverhandlung sei ein günstiger Preis wohl ausgeschlossen, abgesehen davon, dass man bei Lieferungen hinten anstehen müsste. Nun geht das Geschäft zurück an den Ständerat, der zunächst ebenfalls massiv kürzen wollte. Damals war das Ergebnis der administrativen Untersuchung in seiner Tragweite aber noch nicht bekannt.
Verhandlungs- und Berechnungsfehler
So waren zwei Impfstoff-Verträge nicht durch das Parlament bewilligt. Den Betrag von 172 Millionen Franken musste das Parlament faktisch durchwinken. Teilweise handelt es sich dabei um finanzpolitische Details. Anderseits haben sich die Behörden auch noch massiv verrechnet.
Rund 80 Millionen Steuerfranken wurden etwa als Reservationsgebühr «aus Versehen» doppelt berechnet. Die Finanzpolitiker verstehen die Welt nicht mehr – selbst wenn dadurch die Kosten tiefer ausfallen.
SP-Wyss: «Das darf nicht geschehen»
Nah am komplexen Geschäft dran ist SP-Nationalrätin Sarah Wyss, die die Sitzung als Vizepräsidentin der Kommission leitete. Die Basel-Städterin sagt offen: «Bei der Impfstoff-Beschaffung sind Fehler passiert. Das darf nicht geschehen und muss bis im August lückenlos aufgeklärt werden.»
Die Sozialdemokratin hält «ihrem» Bundesrat aber zugute: «Was man den Behörden und Bundesrat Berset attestieren muss: Es wurde nie versucht, Versäumnisse zu vertuschen, sondern die Finanzkommission wie auch die Öffentlichkeit wurden transparent informiert.»
Sie spricht von «Unregelmässigkeiten» bei zwei Krediten, weil sie nicht vom Parlament freigegeben wurden. Allerdings habe dieses im Grundsatz grünes Licht gegeben für die Impfstoffstrategie – inklusive Verpflichtungskrediten.
SVP-Guggisberg: «Das Vertrauen ist weg»
Deutlichere Worte findet der Berner Lars Guggisberg. «Es ist inakzeptabel, dass bei einer Neukalkulation der Zahlen über das Wochenende plötzlich um 80 Millionen Franken tiefere Kredite beantragt werden», so der Berner.
Leider würden Kredite in der Höhe von über hundert Millionen Steuerfranken viel zu oft gutgläubig durchgewunken. «Das Vertrauen in die durch die Verwaltung beantragten Kredite ist weg», so Guggisberg. Um dieses wieder zu erlangen, brauche es eine «lückenlose Aufklärung der Verfehlungen, die zu den massiv falschen Kreditanträgen geführt haben.»
Impstoff-Zoff geht in eine neue Runde
Ähnlich sieht es sein Parteikollege Primin Schwander. Er bezeichnet die Fehler bei der Impfstoff-Beschaffung als «krass». Wirklich erstaunt sei er aber nicht, schliesslich komme es bei Bundesprojekten immer wieder zu Finanz-Gräbern.
«Die Verantwortung trägt natürlich Bundesrat Alain Berset», stellt er klar. Doch das grundlegende Problem sei die Struktur, weil niemand wisse, wer für was zuständig sei. Nun müssten auch externe Firmen, die der Staat für Vertragsprüfungen engagiere, Stellung beziehen.
Sicher ist: Die Impfstoff-Saga wird das Parlament weiter beschäftigen. Bereits am Mittwochnachmittag beschäftigt sich der Nationalrat damit.