Coronavirus: Forscher ziehen kritische Bilanz
Epidemiologen ziehen eine positive Bilanz des Nationalen Forschungsprogramms «Covid 19», aber die Zusammenarbeit mit Politik und Behörden könnte besser sein.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Nationale Forschungsprogramm «Covid 19» macht eine Zwischenbilanz.
- Eine wichtiger Punkt sei gewesen, dass sich das Virus über die Luft übertrage.
- Defizite sehen die Forscher beim Zusammenspiel mit Behörden und Politik.
Schon im April 2020, keine zwei Monate nach dem ersten Schweizer Corona-Fall, lancierte der Bundesrat das «Nationale Forschungsprogramm Covid-19». Die klügsten Köpfe der Schweiz sollten Antworten liefern zu dieser in vielerlei Hinsicht neuen Herausforderung für die Gesellschaft.
Vom Coronavirus und der Krankheit selbst, über Impfungen, Medikamente, Diagnose, Monitoring, bis zum Gesundheitssystem und den Pandemie-Massnahmen: Alles sollte erforscht und evaluiert werden. «Nur» zwei Jahre wollte man sich Zeit geben, für wissenschaftliche Verhältnisse ein sportliches Ziel.
Durchschlagende Erfolge & Note «nicht schlecht»
«Anfangs wussten wir ja sehr wenig», sagt Professor Marcel Salathé, Epidemiologe und Leiter des Nationalfond-Forschungsprogramms «Covid 19». «Heute kennen wir das Coronavirus im Detail wie fast kein anderes Virus.» Die Zwischenbilanz des Forschungsprogramms fällt für Salathé positiv aus. Als «durchschlagenden Erfolg» hebt Salathé das Abwasser-Monitoring der Eawag hervor, mit dem die Virenkonzentration in Gewässern gemessen wird.
Insgesamt habe es die Schweiz nicht schlecht gemacht, auch wenn die Wissenschaft teilweise zu anderen Schlüssen gelangte. «Natürlich kann im Nachhinein sagen, die Schulschliessungen seien nicht nötig gewesen», zeigt Salathé an einem Beispiel. «Aber umgekehrt waren in anderen Ländern die Schulen teilweise ein ganzes Jahr lang zu.» Obwohl man noch relativ wenig wusste, habe man also durchaus mit Fingerspitzengefühl gehandelt.
Einen entscheidenden Punkt habe man zuerst lernen müssen, sagt Virologin Isabella Eckerle vom Universitätsspital Genf: «Welche Rolle ein Virus spielt, das über die Luft übertragen wird.» Ein Thema, welches vor der Pandemie bezüglich Atemwegsviren keine grosse Rolle gespielt habe. Es habe lange gedauert, bis dies anerkannt wurde, aber jetzt habe man viel mehr Wissen dazu. «Wir haben Studien, dass die Masken wirken, Studien zur Raumluft.»
Luftqualität statt Händewaschen: Handlungsbedarf erkannt
Die Frage sei, wie man diese Erkenntnisse nun umsetze, denn sie seien nicht nur für Covid relevant. Hier bestehe Handlungsbedarf, so Eckerle: «Wie kann man Gebäude langfristig sicher machen, wie kann man Arbeitsplätze sicher machen?»
Schulen seien diesbezüglich ein besonderer Knackpunkt, nachdem man gesehen habe, wie schädlich ein Unterbruch des Unterrichts sei. «Sei es durch Massnahmen, sei es, weil viele Kinder oder Lehrer krank sind.»
An manchen Stellen habe man es ein bisschen verpasst, die Kommunikation upzudaten, bedauert Eckerle. «Wir sind alle sehr, sehr gut inzwischen im Händewaschen, im Händedesinfizieren. Es ist das Letzte, was noch übrig bleibt an vielen Orten: Dass die Desinfektionsmittel-Spender noch dastehen.»
Man habe es verpasst, die Kommunikation auf den neusten Stand zu bringen. Wahrscheinlich spielten die Hände eine Rolle, aber eine kleine, nicht die Hauptrolle. «Das wichtigste ist nicht Desinfizieren, sondern eben die Raumluft, die Masken.»
Luft nach oben bei Zusammenarbeit mit Politik
Dass der Transfer von Wissen in die Umsetzung in der Schweiz noch nicht so gut laufe, bestätigt auch Marcel Salathé. «Da gibt es schon ziemliche Verbesserungsmöglichkeiten», auch wenn sich Wissenschaft und Politik besser kennengelernt und neue Brücken gebaut hätten. Salathé verweist auf die Wirtschaft, die lange auch Mühe hatte, von der Forschung direkt zu profitieren.
Die Schweiz kenne heute zwar gute Methoden, um den Transfer in die Wirtschaft zu vereinfachen. Zum Beispiel die Förderung von Start-ups, so Salathé. «Aber beim Transfer in Behörden und in die Umsetzung von Massnahmen gibt es noch recht viel Verbesserungspotenzial in der Schweiz.»