Coronavirus: Tessiner Nationalrat empört über Abriegelungsphantasien
Das Tessin hat den Notstand ausgerufen. In Bern fühlen sich Parlamentarier aber nicht ernst genommen. Jetzt platzt CVP-Nationalrat Marco Romano der Kragen.
Das Wichtigste in Kürze
- In Italien herrscht der Ausnahmezustand, doch die Grenzen ins Tessin bleiben offen.
- Die Tessiner Parlamentarier beschweren sich beim Bundesrat – bisher erfolglos.
- Marco Romano fühlt sich beleidigt, weil manche das Tessin abschotten wollen.
Die Tessiner wehren sich mit Händen und Füssen gegen das Coronavirus. Während die Situation im Nachbarland Italien zunehmend ausser Kontrolle gerät, strömen täglich knapp 70'000 Grenzgänger in die Schweiz. Bisher lässt der Bundesrat die Grenzen offen.
Der Kanton Tessin indes rief gestern Mittwoch den Notstand aus und verschärfte die Massnahmen. Der Regierungsrat schliesst alle privaten und öffentlichen Schulen im Kanton, welche eine Ausbildung nach der obligatorischen Schulzeit anbieten.
Weiter sind alle Kinos, Theater, Schwimmbäder, Discos, Sportzentren und ähnliche Orte per sofort geschlossen. Über 65-Jährige dürfen keine Kinder mehr hüten, an keinen Veranstaltungen mehr teilnehmen, keinen öV mehr nutzen. Restaurants dürfen nur noch höchstens 50 Gäste bewirten.
Das zeigt: Im Tessin herrscht Alarmstufe Rot. Besorgte Tessiner Parlamentarier trafen sich daher gestern Abend mit der Landesregierung. Und gleich drei Bundesräte veruschten, die Tessiner National- und Ständeräte zu besänftigen: Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, Gesundheitsminister Alain Berset sowie Finanzminister Ueli Maurer, der für Zoll und Grenzwacht verantwortlich ist.
«Kein Mensch versteht das!»
Zwar sei das Gespräch offen und konstruktiv gewesen, sagt die Tessiner Delegation anschliessend. Doch nicht alle sind zufrieden: CVP-Nationalrat Marco Romano hält nach wie vor an der Forderung fest, dass die Grenze zu Italien dicht gemacht werden. «Kein Mensch versteht, warum Zehntausende Grenzgänger, die zuhause keine Bewegungsfreiheit haben, sich bei uns frei bewegen können.»
Die italienischen Grenzgänger seien am Mittag in Restaurants oder am Abend in Bars unterwegs, mischen sich unter das Schweizer Volk. Zwar gebe es unter Experten unterschiedliche Meinungen, so Romano. Es gebe Ansichten, dass eine verminderte Mobilität wegen einer Grenzschliessung die Weiterverbreitung des Virus vermindern könne.
Bundesrat und Experten sagen, eine Grenzschliessung sei nicht umsetzbar, zudem bringe sie aus epidemiologischer Sicht nicht (mehr) viel. Romano spielt dennoch auf den nationalen Zusammenhalt an und bemüht einen Vergleich: Wenn die Situation umgekehrt wäre – Corona-Chaos in Deutschland, Tausende Deutsche in Basel – «würden die Basler nicht das Gleiche fordern?»
Romano empört über Abriegelungsphantasien
Besonders erstaunt zeigt sich Marco Romano, «dass jemand in der Deutschschweiz denken kann, man könnte den Gotthard einfach schliessen». Dafür hat der Tessiner überhaupt kein Verständnis. «Hey Leute! Wir sind die Schweiz! Ich fühle mich beleidigt von Leuten, die so über die Situation denken.»
Die sollten mal nachdenken bei solchen Aussagen. Man habe es schliesslich bereits bei der Verbreitung der Fälle gesehen, die zuerst im Tessin auftauchten. Romano weiss, was auf die ganze Schweiz zukommt: «In wenigen Tagen ist die Situation auch in der Deutschschweiz so.»