Das dritte Geschlecht ist im Bundesrat angekommen
Der Bundesrat will vorläufig nicht über die Einführung eines dritten Geschlechts diskutieren. Feige oder weise? Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bundesrat spricht sich gegen ein drittes Geschlecht aus.
- Dies sorgt für Kritik, denn die Begründung sei wenig überzeugend.
- Gesellschaftspolitische Änderungen haben es aber immer schwer in der Bundespolitik.
Der Bundesrat sieht sich zum Jahresende einmal mehr mit heftiger Kritik konfrontiert. Er hat sozusagen seine Hausaufgaben nicht gemacht: Der Nationalrat hatte vor drei Jahren gleich zwei Vorstösse überwiesen, die einen Bericht zur Einführung eines dritten Geschlechts verlangten. Diese Woche nun kommt die Landesregierung zum Schluss, das dies a) kompliziert und b) darum nichts für ihn sei.
Faule Ausreden wie damals in der Schule
Gesetze müssten angepasst und Diskussionen erst noch geführt werden, weshalb der Bundesrat dankend verzichtet auf eine Änderung des binären Geschlechtermodells. Die Politik kann ja aber nicht einfach nichts tun. Nur weil die Politik das tun müsste, was die Politik auch sonst immer tut: Ab und zu Gesetze beschliessen, vor allem aber diskutieren.
Wobei man fairerweise sagen muss, dass der Bundesrat sich strenggenommen nicht in Arbeitsverweigerung übt. Beide Postulate, von Sibel Arslan (Nationalrätin Grüne) und Ana Ruiz (mittlerweile SP-Regierungsrätin im Waadtland), hat das EJPD zur Annahme empfohlen. Und auch genau das getan, was verlangt wurde: Einen Bericht schreiben. Dieser ist immerhin 25 Seiten lang, inklusive Literaturverzeichnis, und mit einer Schrift kleiner als 12 Punkte nicht einmal künstlich aufgeblasen.
Nichts tun braucht eben auch seine Zeit
Trotzdem wird dem Bundesrat vorgeworfen, er scheue sich vor Veränderung. Ungute Gefühle kommen hoch in Erinnerung an Ueli Maurers flapsige Bemerkung, «Hauptsache kein Es» als Nachfolge zu wollen.
Andererseits könnte das abwartende Teetrinken im Bundeshaus West durchaus in weiser Voraussicht passiert sein. Also doch ganz im Sinne von «gouverner c'est prévoir», regieren heisst vorhersehen. Bei gesellschaftspolitischen Themen war es nicht immer einfach, mehrheitsfähige Reformen zu finden.
So hat die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf 2008 die Sterbehilfe besser gesetzlich regeln wollen. Doch die einen fanden die eine, die anderen die andere Variante total daneben. Mit der Ausnahme derjenigen, die beides schlecht fanden. Drei Jahre später musste die neue Justizministerin Simonetta Sommaruga das Projekt Sterbehilfe beerdigen.
«Es» war schon immer so
Solches war wiederum auch für viele nicht befriedigend: Keine Lösung ist auch keine Lösung. Aber so ist der Mensch: Ein Gewohnheitstier, Veränderung behagt ihm nicht. Man mag dem Bundesrat vorwerfen, seine Vorbildfunktion als «besserer Mensch» nicht wahrzunehmen. Oder man könnte ihm zugestehen, drei Jahre Leerlauf vermieden und durch seine Stellungnahme immerhin die Diskussion angeregt zu haben.
Aber, ja, im Bundesrat sitzen auch nur Menschen. Und Gewohnheitstiere. Immerhin unterscheidet sich die deutsche Sprache ja von vielen anderen aber darin, dass sie ein drittes Geschlecht kennt. Weil es «das Tier» heisst, sass, unbemerkt von Ueli Maurer, längst diskussionslos und unkompliziert «es» rund um den Sitzungstisch.