Der scheinheilige Tanz um die Indiskretionen
Der Bundesrat verurteilt die Indiskretionen rund um die Corona-Leaks. Solcherlei Dinge seien schädlich. Und nicht neu. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bundesrat verurteilt die Indiskretionen bei den Corona-Leaks.
- Weitergehende Fragen werden aber abgeblockt.
- Beides ist – leider – nicht neu.
Der Bundesrat hat heute eine Diskussion geführt um die Corona-Leaks, teilweise mit Bundespräsident Alain Berset im Ausstand – lies: vor der Tür. Im Anschluss informierte Bundesratssprecher André Simonazzi die Medienschaffenden darüber, auch Berset selbst machte eine Anmerkung. «Der Bundesrat toleriert keine Indiskretionen und verurteilt sie entschieden», strich Simonazzi heraus.
Die anschliessende Fragerunde gipfelte in der Scherzfrage eines äusserst langjährigen Bundeshausjournalisten: Warum man diese durchführe, wenn es ja doch keine Antworten gebe. Denn viel wollten die Journalisten wissen, wenig wollten oder konnten Alain Berset und André Simonazzi sagen. Abgesehen von Verständnisfragen wurde nichts geklärt, manchmal nicht einmal das. Das ist insofern nicht verwunderlich, als André Simonazzi seit Amtantritt 2009 als der Sprecher gilt, der lieber nicht spricht.
Nein, das ist falsch
Zwei Dinge muss ich heute aber als langjähriger Bundeshausjournalist klarstellen. Das Kopfschütteln oder laute Herauslachen während der Medienkonferenz heute Nachmittag dürfte nicht nur in der Nau.ch-Redaktion stattgefunden. Falsch ist hingegen der Vorwurf, dass dies wohl die unnötigste Fragerunde aller Zeiten gewesen sei. Top-Kandidat für diesen Titel ist nämlich zweifelsohne die Medienkonferenz zur Ukraine-Krise Ende Februar 2022.
In dieser gab es derart wenige Antworten, dass die logische Anschlussfrage war: «Warum sind sie dann hier?» Und nein, das weiss ich nicht, weil ich ein derart langjähriger Bundeshausjournalist bin. Falsch ist nämlich auch, dass ich schon so lange unter der Bundeshauskuppel rumlungere, dass die – gefühlt zehn Stockwerke hohe – Eingangshalle zum zweiten Wohnzimmer geworden wäre. Gegen solche Unterstelllungen verwahre ich mich aufs Entschiedenste.
Am Anfang war die Indiskretion
So war ich beispielsweise nicht dabei, als 2006 Simonazzis Vorgänger Oswald Sigg eine Indiskretion verurteilte: Solches schädige Ansehen und Glaubwürdigkeit unseres Landes. Justizminister Christoph Blocher pflichtete bei, genau so wie zehn Jahre zuvor die damalige Sozialministerin Ruth Dreifuss. Ihre AHV-Zahlen waren 1996 «geleakt» worden, wie man damals bestimmt nicht sagte.
Schon im Jahr darauf musste der Bundesrat erneut verurteilen. Oder 2010 im Rahmen der Libyen-Affäre, als Bundespräsidentin Doris Leuthard es verurteilte, dass geheime Dokumente an die Öffentlichkeit gelangten. Oder 2012, als derselbe André Simonazzi fast wörtlich dasselbe sagte wie 2023: «Diese Indiskretionen sind zu verurteilen, sie beeinträchtigen die Arbeit des Bundesrats bei der Suche nach Lösungen.»
Es ist klar: Der Bundesrat verurteilt Indiskretionen, geht der Sache nach, mit der Folge, dass es keine Folgen hat. Seit Jahrzehnten. In dem Zusammenhang beispielhaft ist folgendes Zitat: «Leaks betreffen den ganzen Bundesrat, stören seine Entscheidungsfindung und das Vertrauensverhältnis im Gremium massiv und sind zu verurteilen.»
Ja, das ist richtig
Richtig, kann jeder unterschreiben, unabhängig davon, wer es gesagt hat. Ich sage es Ihnen trotzdem: Ende 2020, der ehemalige Kommunikationschef von Bundesrat Berset, Peter Lauener. Was nicht wirklich gegen Lauener spricht, denn die meisten Leaks kommen schliesslich aus dem Umfeld von Bundesräten. Oder von Bundesräten selbst.
Richtig ist wohl auch, dass auch André Simonazzi weiss, dass er auf verlorenem Posten kämpft. In weiser Voraussicht gab er schon 2009 zu Protokoll: «Mit einer guten Zusammenarbeit zwischen den Departementen kann man die Gefahr der Indiskretionen vielleicht eindämmen – doch es wird sie wohl auch in Zukunft leider noch geben.»
Die Aufregung um Indiskretionen, oder Leaks, wie man auf gut Deutsch sagt, ist echt, denn sie behindern die Arbeit der Regierung. Sie ist gleichzeitig scheinheilig, denn wer im Bundeshaus sitzt, soll nicht mit Indiskretions-Vorwürfen werfen. Und ja, richtig ist auch: Die Sessel im Bundeshaus sind ziemlich bequem – man kann darin sehr gut rumlungern. Fast wie ein zweites Wohnzimmer. :-)