Die Postkarten-Schweiz der Neutralitäts-Initianten
Um ihren Anliegen Nachdruck zu verleihen, will «Pro Schweiz» 375'000 Postkarten an Parlamentarier schicken. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Mit Hunderttausenden Postkarten sollen Parlamentarier an die Neutralität gemahnt werden.
- «Pro Schweiz» kritisiert Waffenlieferungen an die Ukraine und die ukrainische Botschaft.
- Passt das zusammen? Ein Kommentar.
Tatsächlich: Wir hatten diese Woche auch eine Postkarte im Briefkasten. Nicht etwa an mich selbst adressiert, weshalb ich zugegebenermassen etwas neidisch wurde. Und darob ins Grübeln kam: Eigentlich sollten wir wieder öfter Postkarten schreiben – es ist halt schon noch etwas mehr als eine Textnachricht. Da ändert auch eine Emoji-Überdosis nichts daran.
Postkarten-Schweiz von «Pro Schweiz»
Nicht neidisch bin ich dagegen auf die National- und Ständeräte, die dank «Pro Schweiz» in den nächsten Tagen rund 375'000 Postkarten erhalten sollen. Damit soll «für die Erhaltung der Schweizer Neutralität» und die eben erst lancierte Neutralitäts-Initiative geworben werden. Also im Schnitt über anderthalb Tausend A5-Kartons pro Parlamentarier, fast 50 Quadratmeter, hoffentlich aus Schweizer Holz. Oder wenigstens Schweizer Altpapier aus geschredderten Akten der Zürcher Justizdirektion.
Nicht neidisch bin ich, weil der Text vorgedruckt ist und somit noch weniger Emotionen auslöst als 375’000 Emojis. Nicht neidisch bin ich auch, weil ich wegen Postkarten-Bild und -Botschaft ins Grübeln komme. Ein Panzer mit Schweizer Kreuz, die Schweiz solle nicht Kriegspartei werden, mit Kriegsmateriallieferungen in die Ukraine.
In der zugehörigen Medienmitteilung wird ausserdem die ukrainische Botschaft in Bern kritisiert, die der Schweiz neutralitätspolitische Vorschriften machen wolle. Das ist mir zu kitschig und unecht – wenn schon Postkarte, dann nicht das runzlige Grosi mit Pausbacken.
Neutralität vs. Neutralität
Solche Postkarten sind nicht ehrlich und kommen nicht von Herzen. Somit dürfte der Massenversand auf Kosten der Lawinenschutzwälder kaum einen Volksvertreter umstimmen. Insbesondere auch, weil die Initianten der Neutralitäts-Initiative mit zweierlei Ellen zu messen scheinen.
Die Schweiz ist nicht neutral, wenn ihr Kriegsgerät in einem Krieg eingesetzt wird? Kann man mit Fug und Recht so sehen – oder auch nicht. Nur: Schweizer Kriegsgerät wird seit Jahrzehnten im Krieg eingesetzt (was überraschen mag, aber vermutlich kommt daher der Name). Der Exportschlager «Mowag Piranha» hat sich zum Beispiel via dänische Armee im Irak-Krieg einigermassen bewährt.
Mit dem auf der Piranha-Plattform basierenden LAV-25 war die kanadische Armee in Kandahar und sind die US-Marines 1989 in Panama einmarschiert. Nur wurden diese Radpanzer unter Lizenz in Kanada hergestellt. Gilt das dann nicht mehr als neutralitätsgefährdend? Und die Dänen – sollten die besser keine Embleme auf ihre Piranhas kleben, weil es für Islamisten zu sehr nach Schweizer Kreuz aussieht?
Allein der Gedanke, nein, die Botschaft zählt
Der ukrainischen Botschaft zu verübeln, dass sie der Schweiz vorwirft, nicht neutral bleiben zu können angesichts der russischen Aggression – kann man machen. Schliesslich haben wir die Neutralität erfunden und haben darum die alleinige Deutungshoheit, oder so, die anderen sollen sich gefälligst danach richten.
Nur: Der russische Botschafter ist diesbezüglich auf Augenhöhe. Wiederholt hat er der Schweiz vorgeworfen, die Neutralität nicht nur verletzt zu haben: «Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass die Schweiz […] endgültig das Recht verloren hat, ein neutrales Land genannt zu werden», sagt er Mitte Februar in einem Interview mit «RIA Novosti».
Darf er das? Immerhin wird er dafür nicht von «Pro Schweiz» kritisiert – immerhin stützt er sich dabei auch auf weitere Quellen: Den Schweizer Nachrichtendienst – und den Erfinder der Neutralitäts-Initiative, Christoph Blocher.