Experte hält Verwahrung jugendlicher Mörder für problematisch
Das Parlament will, dass auch Taten von Minderjährigen eine Verwahrung zur Folge haben können. Ein Experte hält dies für falsch.
Das Wichtigste in Kürze
- Wer als Jugendlicher einen Mord begeht, soll später verwahrt werden können.
- Eine Abklärung sei in solchen Fällen schwierig, sagt Experte Dirk Baier.
- Er hält den Entscheid deshalb für problematisch und falsch.
Am Mittwoch hat nach dem Ständerat auch der Nationalrat entschieden: Wer im Jugendalter einen Mord begangen hat, kann in der Schweiz künftig verwahrt werden. Verwahrt werden können sollen junge Menschen, die als Minderjährige – nach ihrem 16. Geburtstag – einen Mord begangen haben.
Die Massnahme soll also nicht Jugendliche treffen, sondern junge Mörder nach Erreichen der Volljährigkeit. Aber auch nur dann, wenn nach der jugendstrafrechtlichen Sanktion die ernsthafte Gefahr besteht, dass sie wieder eine solche Straftat begehen.
Experte: «Entscheid ist falsch»
Doch wie ist dieser Entscheid aus Perspektive der Kriminalprävention zu beurteilen? Nau.ch hat den Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften um eine Einschätzung gebeten.
Dirk Baier ist überzeugt: «Aus meiner Sicht ist dieser Entscheid falsch.» Die bestehende Gesetzeslage werde verschärft, ohne dass dafür notwendiger Bedarf bestehe. Aber: Eine solche Verschärfung geniesse sicherlich die Zustimmung der Bevölkerung, «weil sie Sicherheit verspricht», vermutet der Experte.
Seltene Delikte kaum zu verhindern
Sehr schwere Gewaltdelikte seien bei allen Altersgruppen ausgesprochen selten. Durchschnittlich werden pro Jahr zehn Minderjährige wegen vorsätzlicher Tötung oder Mord verurteilt, so Baier.
«Diese ganz spezifischen Delikte ein für alle Mal verhindern zu wollen, ist zwar ein nachvollziehbares Anliegen, aber letztlich unmöglich. Vereinzelt und in ganz besonderen Situationen kommt es leider zu solchen Taten.» Im Endeffekt richte sich das Gesetz auf Fälle, die in der Praxis fast gar nicht existierten und kaum verhinderbar seien. «Einzelfälle zur Grundlage einer Gesetzgebung zu machen, erscheint mir problematisch.»
Überdies gebe es eine Vielzahl von Faktoren, die gegen die Verwahrung dieser Straftäter spreche: «Insbesondere, dass der Erziehungsgedanke – dieser muss für den Umgang mit jugendlichen Tatpersonen leitend sein – aufgegeben wird.»
Persönlichkeitsentwicklung mit 16 nicht abgeschlossen
Der Experte weiss, dass junge Menschen sich im Verlaufe ihrer Entwicklung verändern: «Mit 16 sind sie anders als mit 20 oder 25. Junge Menschen sind in dieser Veränderung auch noch besser von aussen formbar», erklärt er. «Langes Wegsperren ist hingegen kein Weg, junge Menschen positiv zu formen!»
Auch mit Blick auf die Rückfallgefahr sei das Alter eine wichtige Variable: «Je älter Menschen werden, umso geringer ist tendenziell ihre Rückfallgefahr.» Gleichzeitig könne man keine Rückfallprognosen erstellen. «Es geht immer nur um Wahrscheinlichkeiten – diese wiederum sind von vielen Faktoren abhängig.»
Schwierige Abklärungen
Je jünger eine Person ist, desto schwieriger sei es, diese Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen. Bei einem 25-Jährigen ein so hohes Rückfallrisiko zu bestimmen, dass man ihn nicht mehr freilassen darf, sei «sehr schwierig».
Um Tatpersonen erfolgreich zu resozialisieren, brauche es stets eine individuelle Beurteilung. Zunächst müssten die Risikofaktoren analysiert werden, die zur Tat geführt haben. Danach müssten die Stärken und Ressourcen der Person betrachtet werden – «beides zusammen führt dann zur Planung des Resozialisierungsprozesses».
So sei bei manchen Personen primär eine Therapie angezeigt, weil «bestimmte psychische Problematiken für die Tat verantwortlich waren», erklärt Baier. «Bei anderen ist das soziale Umfeld das Problem – beispielsweise die ‹falschen› Freunde. Bei Dritten wiederum geht es beispielsweise um die Etablierung einer Alltagsstruktur.»
Zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft gibt der Experte wiederum zu bedenken: Dieser Prozess könne nur teilweise von aussen gesteuert werden. «Die Resozialisierung ist nicht allein durch externe Angebote und Programme zu gewährleisten. Es braucht auch die innere Bereitschaft hierfür.»