Fachkräftemangel in der Schweiz bleibt bestehen
Trotz Überwindung der Corona-Krise kämpft die Schweiz weiter mit einem Fachkräftemangel. Die IT-Branche ist unter anderem davon betroffen.
Das Wichtigste in Kürze
- Trotz Personenfreizügigkeit hat die Schweiz mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen.
- Insbesondere die IT-Branche, die Gastronomie und Bauindustrie leiden darunter.
- Der Prozess, ausländische Arbeitskräfte zu rekrutieren, soll erleichtert werden.
Trotz Personenfreizügigkeit und Erholung von der Corona-Krise kämpft die Schweizer Wirtschaft mit dem Fachkräftemangel. Laut den Bundesbehörden sind in der IT-Branche sind sogar die Rekrutierungsmöglichkeiten im Rahmen der Personenfreizügigkeit ausgeschöpft.
Zu diesen Schlüssen kommt das «Observatorium zum Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU» in einem Bericht. Diesen hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Donnerstag den Medien in Bern vorgestellt.
Die Arbeitslosigkeit erreichte im Frühjahr 2022 für die einheimischen und die ausländischen Erwerbspersonen das Vorkrisenniveau erstmals wieder. In der Folge unterschritt es dieses. Wie das Seco am Donnerstag mitteilte, lag die Arbeitslosigkeit im Juni 2022 so tief wie seit zwanzig Jahren nicht mehr.
Fachleute fehlen vor allem in IT-Branche
Damit hat sich das Problem des Fachkräftemangels laut Bericht in verschiedenen Wirtschaftszweigen wieder akzentuiert. Betroffen seien diverse Branchen, von der Gastronomie über das Baugewerbe bis hin zum Gesundheitswesen, wie es an der Medienkonferenz hiess.
Eine vertiefte Analyse widmete das Observatorium dem Fachkräftemangel in der IT-Branche, bei der sich der Fachkräftemangel besonders stark bemerkbar macht. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung habe die Anzahl Erwerbstätiger in diesem Bereich seit 2010 um sechzig Prozent zugenommen. Dies führte Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco, vor den Medien aus.
Der Bedarf ist nach wie vor hoch, für Firmen wird es aber immer schwieriger, an geeignetes IT-Personal zu kommen. Das inländische Arbeitskräftepotenzial sei in diesem Bereich praktisch ausgeschöpft, so das Observatorium. Selbst die Rekrutierungsmöglichkeiten im Rahmen der Personenfreizügigkeit seien mittlerweile ausgeschöpft. Und dies trotz bereits sehr hoher Löhne – darauf gebe es Hinweise.
Fachkräftemängel betrifft auch EU
Bereits in den vergangenen Jahren haben die Firmen deshalb vermehrt auf Arbeitskräfte aus Drittstaaten gesetzt. Aus den USA, Grossbritannien oder Indien wurden oft Arbeitskräfte angestellt. In Zukunft könnte sich die Situation weiter verschärfen, da auch in vielen EU-Ländern ein Fachkräftemangel herrscht.
Wie Seco-Direktorin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch ausführte, ist es deshalb bedeutsam, ältere Arbeitskräfte länger im Arbeitsmarkt zu halten. Aber auch eine «noch bessere» Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt sei ein wichtiges Ziel, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Auch Daniel Lampart sah die Lösung in der besseren Mobilisierung von inländischen Arbeitskräften. Er nahm als Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) an der Medienkonferenz teil. Namentlich ansässige Migranten hätten eine gute Ausbildung, die jedoch nicht anerkannt sei. Oder aber ihnen fehle aufgrund mangelnder Zeit oder Geld die Möglichkeit, sich besser zu qualifizieren.
Bericht: Personenfreizügigkeit ist essenziell
Roland Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV), forderte im Gegensatz dazu administrative Erleichterungen für die Rekrutierung von Fachkräften aus Drittstaaten. Zudem unterstützte er aktuelle Bestrebungen, wonach Uni-Abgänger aus Drittstaaten leichter eine Arbeitsbewilligung erhalten sollen.
Der Bericht mache die grosse Bedeutung der Personenfreizügigkeit für die Rekrutierung von Fachkräften deutlich. Somit sei sie für den Wohlstand in der Schweiz essenziell, wie Zürcher vom Seco betonte.
Und wie er weiter ausführte, hat gerade die Covid-Krise gezeigt, dass die Zuwanderung nicht zulasten der einheimischen Arbeitskräfte geht. So sei die Arbeitslosigkeit zu Beginn der Krise bei ausländischen Arbeitskräften viel stärker gewachsen als bei Schweizerinnen und Schweizern.
Zuwanderung konkurriert Einheimische nicht
Zudem habe die Zuwanderung vor allem von Kurzaufenthaltern stark abgenommen, als die Arbeitslosigkeit zu Beginn der Krise anstieg. Laut Bericht betrug 2020 das Einwanderungssaldo betreffend EU-/Efta-Raum tiefe 29'500 Personen. 2021, als die Arbeitslosenquote wieder sank, stieg das Einwanderungssaldo für den EU-/Efta-Raum auf 35'900 Personen an.
Diese Zahlen zeigen laut Zürcher, dass die Zuwanderung die einheimischen Arbeitskräfte kaum konkurriert. Ausländische Arbeitskräfte seien viel mehr eine Art «Flexibilitätsreserve» des Schweizer Arbeitsmarkts.