Gibt es genug Wasser für Notreserve in Stauseen?
Die Stromproduzenten sollen für den Krisenfall eine Wasserkraftreserve bilden. Doch woher soll dieses Wasser überhaupt kommen, wenn kein Regen fällt?
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bund will eine Wasserkraftreserve von 500 GWh bilden.
- Sie soll bei einer allfälligen Strommangellage Ende Winter zum Zuge kommen.
- Damit dieses Wasser physisch vorhanden ist, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein.
Kein Strom mehr Ende Winter und leere, aufgebrauchte Stauseen: Die Strommangellage droht. Schon Anfang Jahr setzte Energieministerin Simonetta Sommaruga eine Taskforce ein, um für den Krisenfall eine Wasserkraftreserve zu planen. Als Gründe wurden schon damals die angespannte Lage in der Ukraine, leere Gasspeicher und ungeplant ausgefallene französische AKWs genannt. Mittlerweile ist in der Ukraine Krieg, das Gas knapp und teuer und die Hälfte der französischen AKWs abgeschaltet.
500 GWh Wasserkraftreserve in Schweizer Stauseen
Vorzusorgen scheint dringender denn je. Entsprechend begrüssen Politiker links wie rechts den Entscheid der Elektrizitätskommission (ElCom), eine Wasserkraftreserve von 500 GWh vorzusehen. Damit sollte die Schweiz zwischen einer und drei Wochen durchhalten können, falls gegen Ende Winter wirklich alles schiefläuft.
«Alles» bedeutet im Szenario der ElCom: Null Importe aus Frankreich und Deutschland, während gleichzeitig das AKW Leibstadt ausfällt. Auch die Importe aus Österreich und Italien wären eingeschränkt.
Ein plausibles Szenario, findet SP-Fraktionschef Roger Nordmann. Für SVP-Nationalrat Christian Imark ist wichtig, dass die Speicherreserve so gross wie möglich, aber immer noch finanziell verantwortbar ist. Denn die Kraftwerksbetreiber werden für ihren Wasser-Notvorrat bezahlt. Nur: Woher soll das im Normalfall durch Stromgeneratoren gejagte Wasser kommen?
Wasserkraftreserve: Erfolg ungewiss
500 GWh aus Wasserkraft sind ziemlich viel, andererseits aber auch nicht. Die Schweizer Speicherwerke müssten dazu nur etwa 5 bis 6 Prozent mehr gefüllt sein. Aktuell ist der Füllungsgrad ziemlich durchschnittlich. Das heisst aber auch: Sollten nicht massive Regenfälle die Stauseen bis zum Rand füllen, liegt eine Reservebildung nicht drin.
Denn einmal zugesagt, dürfen die Kraftwerksbetreiber ihre zugesagten Anteile an der Wasserkraftreserve auf keinen Fall antasten, ansonsten drohen hohe Bussen. Ob die ElCom überhaupt Zusagen in der gewünschten Grössenordnung erhält, ist auch keineswegs sicher. Die Teilnahme ist zwar finanziell interessant, aber freiwillig. SVPler Christian Imark wagt deshalb keine Prognose, wogegen SPler Nordmann zuversichtlich ist, dass dies klappen werde.
Heizung runter oder Atomstrom statt Wasserkraft?
Wird die Wasserkraftreserve gebildet beziehungsweise aufrechterhalten, steht der Schweiz – Stausee-füllende Sintflut vorbehalten – weniger Strom zur Verfügung. Oder umgekehrt, wie es Energieministerin Simonetta Sommaruga formuliert: «Wenn wir jetzt Strom sparen, kann das auch dazu führen, dass wir dann im Winter weniger Strom importieren müssen.» Das helfe wiederum denjenigen Nachbarländern wie Deutschland, die für die Stromproduktion Gaswerke hochfahren müssen.
Strom zu sparen ist ja grundsätzlich nicht verkehrt, in diesem Ausmass kurzfristig aber wenig realistisch. Zwar fordert Nordmann von Wirtschaftsminister Guy Parmelin ein Sparprogramm. Grüne und Economiesuisse wollen vorsorglich die Heizung runterdrehen. Weniger Wasser die Stausee-Turbinen runterzulassen hätte ausserdem zur Folge, dass die Rheinschifffahrt auf dem Trockenen liegt.
Economiesuisse streicht auch heraus, dass Industrie und Gewerbe mit Zielvereinbarungen bereits über 4'000 GWh eingespart hätten. Allerdings innerhalb von acht Jahren, nicht wenigen Monaten. Also muss die Schweiz Strom importieren, so wie sie dies auch in anderen Jahren zum Beispiel aus französischen AKWs tut.
Ob diese bald wieder laufen werden, weiss hingegen niemand. Genauso wenig, wie stark Wladimir Putin noch am Gashahn drehen wird. Je nachdem ist dann nicht nur die Schweiz an französischem Atomstrom interessiert.
Strom wird teurer
Unabhängig davon, ob die Wasserkraftreserve in gewünschter Höhe zustande kommt: «Die Kosten dafür werden jedoch erheblich sein», konstatiert SVPler Imark. Bald werden die neuen Stromtarife festgelegt; dass sie stark steigen werden, wird von breiten Kreisen erwartet. Allerdings nur zu einem kleinen Teil wegen der Wasserkraftreserve, sondern primär wegen der (politischen) Grosswetterlage.
Nichtsdestotrotz sagt SPler Nordmann zum Plan mit dem Wasser auf der hohen Kante: «Ich sehe kaum negative Auswirkungen.» Auch seitens der ElCom wird betont, dass die Stromkunden sich immerhin damit Versorgungssicherheit erkauften. Falls die Reserve gar nicht gebraucht werden sollte, könnten die Kraftwerksbetreiber daraus immer noch günstigen Strom generieren.