Keller-Sutter sieht wegen Begrenzungsinitiative Wohlstand in Gefahr
Das Wichtigste in Kürze
- Der Schweiz sei es gelungen, in Europa einen eigenständigen Weg zu gehen, sagte Keller-Sutter vor den Bundeshausmedien.
Sie habe mit der EU speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Verträge, die Bilateralen I, abgeschlossen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Schweiz laut Keller-Sutter international hervorragend aufgestellt und die Arbeitslosigkeit so tief wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Die Begrenzungsinitiative stellt den bilateralen Weg in Frage. Sie verlangt, dass das Freizügigkeitsabkommen mit der EU innerhalb eines Jahres neu verhandelt wird. Einen Erfolg hält Keller-Sutter für unrealistisch. «Wer glaubt, die EU würde mit der Schweiz ohne weiteres den Ausstieg aus der Personenfreizügigkeit verhandeln, verkennt die jüngere Geschichte», sagte sie.
Bei einem Scheitern der Verhandlungen müsste die Schweiz das Abkommen kündigen. Wegen der Guillotine-Klausel träten alle weiteren Verträge der Bilateralen I ebenfalls ausser Kraft. Die Schweiz würde gemäss einer Studie hunderte Milliarden Franken an Wirtschaftsleistung einbüssen. Auch die Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen stünden auf dem Spiel, mit entsprechenden Folgen für die Sicherheit, das Asylwesen oder den Grenzverkehr.
Eine derart «waghalsige Wette» dürfe die Schweiz nicht eingehen, warnte Keller-Sutter. Die Schweiz hätte innerhalb eines Jahres einen vertragslosen Zustand. «Wir wären an einem Punkt, wo wir wieder von vorne beginnen müssten.»
Wie jeder Vertrag habe auch das Freizügigkeitsabkommen nicht nur Vorteile, sagte die Justizministerin. Es gebe Befürchtungen, dass die Löhne unter Druck geraten oder Arbeitskräfte verdrängt werden könnten. Auch der Bundesrat wolle nur so viel Zuwanderung wie nötig. Keller-Sutter erinnerte daran, dass sich der Wanderungssaldo seit 2013 halbiert habe. «Personenfreizügigkeit bedeutet nicht unkontrollierte Zuwanderung.»
Sie verwies auch auf die Massnahmen zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials. Dazu gehören die Stellenmeldepflicht in Berufen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, Weiterbildungsangebote und Jobcoaching oder die geplanten Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose. Trotzdem seien die Schweizer Unternehmen auch in Zukunft auf Fachkräfte aus der EU angewiesen, sagte Keller-Sutter.
Ohne diese könnten die Betriebe ihre Aufträge schlicht nicht mehr abarbeiten, erklärte auch der St. Galler Ständerat und Regierungsrat Benedikt Würth als Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen. Zudem werde ein grosser Teil der in seinem Kanton produzierten Industriegüter exportiert.
Ohne diskriminierungsfreien Zugang zum wichtigsten Absatzmarkt würden die Margen weiter unter Druck kommen, warnte Würth. Investitionen in das lokale Gewerbe und Arbeitsplätze wären gefährdet.
Am 17. Mai geht es nicht nur um den Erhalt der Bilateralen. Die Abstimmung gilt auch als Test für das institutionelle Abkommen. Ein solches verlangt die EU ultimativ, um die Rechtsentwicklung, die Überwachung, die Auslegung und die Streitbeilegung bei vorerst fünf Marktzugangsabkommen zu regeln. In der Schweiz ist ein Entwurf auf breiten Widerstand gestossen.
Keller-Sutter will Initiative und Rahmenabkommen vorerst auseinanderhalten. Die Abstimmung über die Begrenzungsinitiative bezeichnete sie als Grundsatzentscheid. Danach sei für den Bundesrat der Zeitpunkt gekommen, seine Position zu konsolidieren und dann der EU ein Angebot zu unterbreiten, erklärte sie.
Bisher hat die EU Nachverhandlungen verweigert und sich allenfalls zu «Präzisierungen» bereit erklärt. Innenpolitisch besonders umstritten sind geplante Einschränkungen beim Lohnschutz, Schranken für staatliche Beihilfen und die unklare Situation bei der Unionsbürgerrichtline. Das geplante Schiedsgericht dürfte ebenfalls weiter zu reden geben.
Auch wenn die Differenzen beim Rahmenabkommen noch gross sind: Für die Begrenzungsinitiative kämpft die SVP alleine. Das war auch bei der angenommenen Masseneinwanderungsinitiative der Fall. Für Keller-Sutter ist die Situation trotzdem nicht vergleichbar.
2014 habe die Allianz nicht funktioniert. «Daraus haben Bundesrat und Sozialpartner die Lehren gezogen». Dass die Überbrückungsleistungen im Parlament einen schweren Stand haben, erwähnte die Bundesrätin allerdings nicht.