Kommentar: «Kriegsrausch», neutral betrachtet

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Ukraine-Krieg: Bundespräsident Alain Berset wird für Aussagen wie «Kriegsrausch» kritisiert. Welche Berechtigung haben die Kritiker? Ein Kommentar.

Alain Berset Bundespräsident
Bundespräsident Alain Berset während der Frühlingssession der Eidgenössischen Räte, am Dienstag, 14. März 2023 im Ständerat in Bern. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Bundespräsident Alain Berset steht in der Kritik für Aussagen rund um den Ukraine-Krieg.
  • Der Ausdruck «Kriegsrausch» sei nicht angebracht, Verhandlungen mit Russland ein Tabu.
  • Ist die Kritik berechtigt? Ein Kommentar.

Einmal mehr steht Bundespräsident Alain Berset unter Beschuss und dieses Mal scheinen selbst Defensivwaffen aus Schweizer Produktion nichts zu nützen. Dieses Mal sind es nicht Taten, sondern Worte, die ihm vorgeworfen werden. Er spüre in gewissen Kreisen einen «Kriegsrausch», die Schweizer Neutralität verbiete nun einmal Waffenlieferungen. Und eher früher als später müsse man mit Russland verhandeln.

Cédric Wermuth Alain Berset
SP-Co-Präsident Cédric Wermuth spricht am SP-Parteitag vom 25. Februar 2023. Er kritisiert die Aussagen von SP-Bundesrat Alain Berset zur Neutralität, - keystone

Seit Sonntag erhitzen sich nun die Gemüter: Je nachdem, wen man fragt, wird er für mindestens eine dieser Aussagen gescholten, inklusive von der eigenen Partei. Also fast noch schlimmer als «friendly fire». Insbesondere die Berset-Kritiker im Inland müssen sich aber selbst auch Kritik gefallen lassen. Ein aktuelles Beispiel aus dem Bundeshaus zeigt: Manch ein Parteipräsident ist vielleicht gar nicht so repräsentativ für die Schweiz.

Führungsmängel

Kürzlich im Parlamentsgebäude: Eine Nationalrätin führt ihren Besuch zur Kuppelhalle, wo auf den Geländerpfosten auf der Zwischenebene vier bronzene Schweizer Söldner stehen. Auch dieser Besuch wird nicht von Erläuterungen zur Symbolik der Statuen verschont, die die vier Landesteile repräsentieren.

Kuppelhalle Bronzestatuen Södlner
Die grosse Treppe in der Kuppelhalle im Bundeshaus mit den drei Eidgenossen und den vier «Landsknechten» auf der Zwischenebene. - Keystone

«Man sagt, der etwas korpulentere sei der Italiener, der hat etwas zu sehr dem ‹dolce vita› gefrönt. Der daneben ist der Franzose, der andre ist dann der Deutsch… sprachige», findet die Nationalrätin den Rank gerade noch. Sonst wäre sie selbst ja plötzlich zur Deutschen geworden und würde gar nicht «Rank», sondern «Kurve» sagen.

Koppelhalle Söldner Hellebarde
Eine Schulklasse vor dem Landknecht aus Bronze, der seine Hellebarde hält, während der Nationaltat über die Initiative gegen Kriegsmaterialexporte in Bürgerkriegsländer debattiert, am 13. September 2021 im Bundeshaus in Bern. - Keystone

Und was, bitte sehr, hat dieser kulturhistorische Exkurs jetzt mit der Kritik an Bersets Kritikern zu tun? Sehr viel, aber nicht das, was Sie denken, auch wenn die Söldner natürlich die Gründerväter des Schweizer Rüstungsexports waren. Schliesslich hatten sie nicht nur eine Hellebarde dabei. Sondern auch eine Rüstung.

Soll ich, soll ich nicht…

Natürlich stehen da keine in Bronze gegossenen Italiener oder Franzosen vor den «Drei Eidgenossen» mit ihren steinernen Mienen. Sondern ein Tessiner und ein Welscher. Zwar singen wir immer wieder das Hohelied auf die viersprachige Schweiz, auch wenn wir die Landeshymne nicht auswendig können. Trotzdem sind sie uns fremd, die Welschen, wörtlich «die anderen, nicht-germanischen», und gehen gerne vergessen oder werden dem Ausland angehängt.

Soll die Schweiz Waffenlieferungen an die Ukraine ermöglichen?

Womit wir beim welschen Bundespräsident Alain Berset wären. Soll man die Neutralität so strikt auslegen, wie es der Bundesrat tut? Vielleicht, immerhin steht es so im Gesetz.

Soll man von «Kriegsrausch» sprechen? Immerhin wird die Ukraine zum Testgelände für fast sämtliche Waffensysteme der Welt, deren Möglichkeiten auch pazifistisch veranlagte Zeitgenossinnen faszinieren.

35-Millimeter-Munition
Die rund 12'000 35 x 228 Millimeter-Geschosse aus Schweizer Produktion für die deutschen Gepard-Flugabwehrkanonenpanzer dürfen laut Bundesrat nicht in die Ukraine geliefert werden. - Wikimedia Commons

Soll man dies als Bundespräsident tun? Keine Ahnung, ob das politisch förderlich, fatal, langweilig oder genial ist. Kann man das in aller Heftigkeit kritisieren? Sicher – aber dann bitte nicht erst eine Woche später.

Die «ivresse de la guerre», den Kriegsrausch, hat Alain Berset bereits am 4. März im Genfer «Le Temps» gewissen Kreisen vorgeworfen – deswegen hat die «NZZ am Sonntag» überhaupt erst nachgefragt.

In der Welschschweiz nichts Neues

Im gleichen Artikel nimmt Berset auch zur Neutralität Stellung, nota bene auch nicht zum ersten Mal. Sogar die möglichen Verhandlungen mit Russland nahm er eine Woche vor der allgemeinen Entrüstung vorweg. Auch wenn sie dort noch «Mediation» hiessen. Aber das stand eben in einer Zeitung dieser «Franzosen».

Alain Berset Temps Kriegsrausch
Artikel bei «Le Temps» mit Alain Berset, vom 4. März 2023. - Le Temps

Apropos – wie der Franzose sagt – stehen: Es steht übrigens auch noch ein Rätoromanisch-sprechender Bronzesöldner auf dem Treppengeländer. Den habe ich leider vergessen zu erwähnen – er lässt sich ja auch so gar nicht gäbig dem Ausland anhängen.

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