Longchamp zu AHV-Vorlagen: Im Normalfall gewinnen Bürgerliche, aber…
Am 3. März stimmt die Schweizer Bevölkerung über zwei Vorlagen zur AHV ab: Für Politologe Claude Longchamp werden Mobilisierung und Ständemehr entscheidend.
Das Wichtigste in Kürze
- Für Claude Longchamp sind Mobilisierung und Ständemehr entscheidend für die 13. AHV-Rente.
- Es sei möglich, dass die Vorlage trotz eines knappen «Ja» am Ständemehr scheitere.
- Die Renteninitiative hingegen bleibe chancenlos, wie der Politikwissenschaftler erklärt.
In knapp zwei Wochen entscheidet die Schweizer Stimmbevölkerung über zwei Vorlagen zur AHV: Gemäss neusten Umfragen zeichnet sich bei der Initiative über eine 13. AHV-Rente noch immer eine deutliche Ja-Mehrheit ab – 53 Prozent bei SRG und 59 Prozent bei Tamedia. Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen hingegen lehnen demnach 63 Prozent (SRG) beziehungsweise 65 Prozent (Tamedia) der Befragten ab.
Gleichzeitig zeigt der Trend der Zustimmungswerte für die 13. AHV-Rente abwärts: Das Ja-Lager hat innerhalb eines Monates 8 (SRG) respektive 12 (Tamedia) Prozentpunkte verloren. Bei Volksinitiativen ist das nicht unüblich, doch scheint sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzuzeichnen.
Renteninitiative chancenlos – und gar kontraproduktiv?
Politologe Claude Longchamp erklärt im Nau.ch-Talk, dass die Initianten der Renteninitiative immer noch auf einen Achtungserfolg von rund 40 Prozent Zustimmung hoffen können.
Gleichzeitig gibt der Experte zu bedenken, dass ein Ergebnis unter dieser Marke durchaus auch in entgegengesetzter Richtung interpretiert werden könne: «Die Initiative riskiert, kontraproduktiv zu sein. Mann könnte ein solches Ergebnis dann auch dahingehend auslegen, dass die Schweizer Bevölkerung nicht länger arbeiten möchte.»
Bei 13. AHV-Rente zwei Faktoren entscheidend
Mit Blick auf die Abstimmung über eine 13. AHV-Rente erklärt Longchamp, dass es bei dieser Abstimmung in erster Linie auf zwei Faktoren ankomme.
Zustimmung für die 13. AHV-Rente finde sich vor allem bei parteipolitisch ungebundenen Personen, wie Longchamp erklärt. Bei bürgerlichen Wählerinnen und Wählern hingegen liessen sich Mehrheiten gegen die Initiative finden.
Insgesamt sei die Angelegenheit aber «nicht so eindeutig». Das liege vor allem an den Unterschieden zwischen den Alters- und Einkommensgruppen. Entsprechend dürfe die Mobilisierung am 3. März zu einem entscheidenden Faktor werden, erklärt der Experte.
Rentner trauen sich nicht
Zu Beginn des Abstimmungskampfes sei die Mobilisierung bei den Älteren sehr hoch gewesen. Bei den Jüngeren wiederum verharrte sie auf tiefem Niveau: «Wie immer», wie der Politikwissenschaftler weiss.
«Danach fand im Rahmen der Diskussion aber eine Verschiebung statt: Die Mobilisierung der alten Leute hat sich verringert – ein sehr seltenes Phänomen!» Hier könne man schon fast von einer «De-Mobilisierung» sprechen, so Longchamp. «Das heisst: Die älteren Leute getrauen sich allenfalls gar nicht mehr, für sich selbst zu stimmen.»
In der Quintessenz zeichne sich in der Westschweiz und im Tessin eine deutliche Annahme der Initiative ab. In der Ostschweiz hingegen sei eine eben so deutliche Ablehnung zu erwarten. Die Kantone dazwischen werden das Zünglein an der Waage sein.
Ständemehr könnte alles kippen
Folglich dürfte neben der Mobilisierung auch das Ständemehr eine entscheidende Rolle spielen, so Longchamp: «Ein Volksmehr hängt primär vom Kanton Zürich ab. Die kleinen Kantone bieten aber beiden Seiten noch gewisse taktische Möglichkeiten, um ein allfälliges Ständemehr zu beeinflussen.»
Solche kantonalen Kampagnen seien insbesondere für die Gegner der 13. AHV-Rente eine Option: «Sie haben mehr Mittel zur Verfügung. Diese könnten sie während den letzten zehn Tagen ganz gezielt in diesen Kantonen einsetzen.»
«Deshalb stellt neben der Mobilisierung das Ständemehr hier die grösste Unsicherheit dar», erklärt Longchamp. Gerade bei einem knappen Volksmehr von 50 bis 54 Prozent könne unter dem Strich durchaus ein Nein der Stände resultieren. «Im engen 50er-Bereich könnte es deshalb mehr auf die Stände ankommen, als auf das Volk.»
Ohnehin ein historischer Achtungserfolg für die Gewerkschaften?
Sollte es ein Ja geben, wäre die 13. AHV-Rente die erste gewerkschaftliche Initiative, die vom Stimmvolk angenommen würde. Im Abstimmungskampf träfen zwei Welten aufeinander, erklärt der Politikwissenschaftler: «Normalerweise würden die bürgerlichen Giesskannen- und Kosten-Argumente siegen.»
Gegenwärtig herrsche aber eine andere Situation, so Longchamp: Die gewerkschaftliche Sicht habe an Legitimität gewonnen, weil der Bund seit der Pandemie sehr viel Geld ausgegeben habe. «Immer mehr Leute verstehen nicht, weshalb man für die eigenen Rentner kein Geld haben sollte.» Dieser Faktor könne einen historischen Durchbruch für eine Gewerkschaftsinitiative befeuern, erklärt Claude Longchamp.