Longchamp zu Bundesrats-Wahlen: Zauberformel hat Zauber verloren
Politologe Claude Longchamp erklärt, wer Anspruch auf Bundesratssitze hätte, bessere Lösungen als die Zauberformel aber dennoch auf sich warten lassen.
Das Wichtigste in Kürze
- Bundespräsident Alain Berset hat verkündet, dass er nicht zur Wiederwahl antreten wird.
- Damit dürfte die Diskussion um die Zusammensetzung der Landesregierung Aufwind erhalten.
- Experte Claude Longchamp erklärt, weshalb die aktuelle Zauberformel kaum Zauber enthält.
Nach zwölf Jahren im Amt wird Bundespräsident Alain Berset im Dezember nicht zur Wiederwahl antreten. Für die Sozialdemokraten beginnt der Verteidigungskampf um den zweiten Sitz in der Landesregierung.
Gleichzeitig ist die Rochade im Bundesrat für andere als grosse Chance zu verstehen: In Abhängigkeit der Ergebnisse bei den eidgenössischen Wahlen könnte die Tür zum Bundesratszimmer nämlich für mehrere Parteien weit offen stehen.
Im Interview erklärt Politologe Claude Longchamp, wie die Zusammensetzung der Landesregierung künftig aussehen könnte. Der Experte ist überzeugt, dass man das Wort «Zauberformel» im Prinzip vermeiden sollte: «Viel ‹Zauber› steckt da nämlich nicht mehr drin», erklärt er.
Die Zauberformel, die keine ist
Bereits 2019 hatten im Fahrwasser grüner Bundesratsambitionen Gespräche über die Konkordanz der Landesregierung und die Zauberformel begonnen: Als viertstärkste Partei im Lande habe man Anspruch auf einen Bundesratssitz.
Doch dann setzte das Coronavirus den Verhandlungen ein jähes Ende. Auch nach der Pandemie wurden die Gespräche über die Zusammensetzung der Landesregierung nicht wieder aufgenommen – das Anliegen versandet.
«Seither gibt es ausserdem eine relevante Veränderung», so Longchamp. Die Überlegung der Grünen stimme seit der Fusion von BDP und CVP nicht mehr: Die Grünen sind hinter der neuen Mitte-Partei auf den fünften Rang abgerutscht.
Am Ursprung der Formel stand 1959 folgende Überlegung: Die drei grössten Parteien haben Anspruch auf je zwei Bundesratssitze. Die viertgrösste Partei wiederum hat Anspruch auf einen Bundesratssitz.
Mittlerweile haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament aber verschoben – es gibt keine «drei grössten Parteien» mehr: An ihrer Stelle existieren eine sehr grosse (SVP), zwei mittlere (SP und FDP) und drei kleinere Parteien (Mitte, Grüne und Grünliberale).
Fraktionsstärken besser berücksichtigen?
Im Rahmen der «Konkordanzgespräche» seien zwei weitere bedeutende Lösungsansätze rege diskutiert worden. Eine mögliche Lösung wäre demnach, dass statt den Wähleranteilen im Nationalrat die Stärke der gesamten Fraktion berücksichtigt werden müsse.
«Damit wäre die Mitte sofort die zweit- oder drittstärkste Kraft unter der Kuppel des Bundeshauses. Dann hätten sie Anspruch auf einen zweiten Sitz – der ginge zulasten der FDP», erklärt der Politologe. Denn «Die Mitte» stellt jeden dritten Ständerat.
Eine neue Zauberformel?
Die zweite Überlegung, die insbesondere von den Grünliberalen vorangetrieben wurde, sieht eine «neue Zauberformel» vor: Demnach sollte die Formel, welche die Sitzverteilung im Nationalrat bestimmt, auch für den Bundesrat zur Anwendung kommen.
Der Politikwissenschaftler erklärt: «Wenn nicht alle Sitze auf Anhieb verteilt werden können, dann gibt es ein sogenanntes Restmandat. Dieses wird derjenigen Partei zugesprochen, welche mit Blick auf die Wähleranteile am nächsten beim nächstmöglichen Sitzgewinn ist.»
Mit dieser Formel wären es die Grünliberalen, die zulasten der SP einen Sitz gewinnen würden. Ferner würden die Grünen zulasten der FDP einen Sitz gewinnen – falls sich die Machtverhältnisse nicht verschieben sollten.
Der wahre Zauber ist Verhandlungssache
Gegen die so entstehende Sechsparteien-Regierung gebe es allerdings «recht viel Widerstand», erklärt der Politologe. Natürlich unter den bisherigen Bundesratsparteien, aber auch darüber hinaus. Ferner ist Longchamp der Ansicht, dass unter den Regierungsparteien die Idee vorherrsche, dass die Regierungszusammensetzung Verhandlungssache ist.
Schliesslich dürften die parlamentarischen Kräfteverhältnisse nach den Wahlen im Herbst also auch im Bundesrat das Zünglein an der Waage bleiben. Die Frage, welche danach gestellt werden müsste, sei lediglich: Will man die Fraktionsstärke besser berücksichtigen oder nicht?