Näher an die Nato: Wäre dies für die Schweiz wirklich neu?
Das Wichtigste in Kürze
- Der Ukraine-Krieg löst vermehrt Forderungen nach Zusammenarbeit mit der Nato aus.
- Finnland und Schweden wollen sehr bald ein Beitrittsgesuch stellen.
Die Nato und die Neutralität: Sie vertragen sich schlecht. Das Nordatlantische Verteidigungsbündnis ist allein schon darum nichts für die Schweiz, weil es definitionsgemäss nicht neutral, sondern eben verbunden ist. Trotzdem will nun das bündnisfreie Finnland schon diesen Frühling einen Beitritts-Antrag stellen. Das neutrale Schweden soll dies für Juni ins Auge fassen.
Schweizer Spitzenpolitiker der FDP, «Die Mitte» oder GLP fordern «nur» mehr Zusammenarbeit mit der Nato. Doch bereits dies reicht, dass die Wogen hochgehen und die Neutralität infrage gestellt wird.
Mehr Zusammenarbeit mit Nato
Bei genauerer Betrachtung scheint allerdings niemand wirklich Revolutionäres zu fordern, schon gar nicht einen Nato-Beitritt. So fordern die Grünliberalen vermehrte Kooperation, insbesondere mit den Nachbarländern und der EU. Mitte-Vertreter wünschen sich gemeinsame Übungen und Ausbildung. Oder wie FDP-Präsident Thierry Burkart, der den Ball ins Rollen brachte, eine gemeinsame Luftverteidigung.
Selbst SVP-Vertreter fänden eine engere Zusammenarbeit mit der Nato sinnvoll, ziehen aber bei Manövern klar die Grenze. Burkart kann sich dies jedoch gut vorstellen, dem Beispiel von Schweden und Finnland folgend. Vielleicht abgesehen von der Luftverteidigung wäre unter den Vorschlägen aber kaum etwas Neues. Geändert haben sich aber die geopolitischen Umstände.
Schweizer Armee an Nato-Manövern
Im Rahmen der «Partnerschaft für den Frieden» laufen und liefen immer wieder militärische Projekte mit Schweizer Beteiligung. Die «Partnership for Peace», von der Nato initiiert, vereint ausser einigen Kleinstaaten ganz Europa, inklusive alle Staaten der ehemaligen Sowjetunion. So übt die Schweiz in Estland das Zusammenspiel mit Nato-Staaten bei der Cyber-Abwehr. Die Schweiz wiederum bietet Kurse im Gebirge an (Sommer und Winter) oder in humanitärer Minenräumung.
Auch der Einsatz der Swisscoy im Kosovo ist zwar via «Partnership for Peace» eingefädelt, steht aber unter Nato-Kommando. Hier sammelt die Schweizer Armee Erfahrungen, wie multinationale Verbände zusammenspielen.
Soll die Schweiz noch stärker mit der Nato zusammenarbeiten?
Genau das war auch das Ziel bei einer aus heutiger Sicht Stirnrunzeln provozierenden Übung. 2015 nahmen rund 60 Angehörige der Schweizer Luftwaffe mit acht F/A-18-Kampfjets in Skandinavien am «Arctic Challenge Exercise» teil.
Dies passiere auf Grundlage einer Abmachung mit Schweden, teilte das VBS mit, doch gilt die zweijährliche Veranstaltung als Nato-Übung. Neben den blockfreien Staaten Schweden und Finnland nahmen Norwegen, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande und die USA teil.
Manöver: Grenzen sind fliessend
Je nach Land und Blickwinkel werden solche Übungen als «Nato-Manöver mit Partnerstaaten» oder «Training auf Einladung des Gastlandes» bezeichnet. Die Schweiz differenziert dann auch noch je nach Übungsanlage. So schickte man 2018 ans Grossmanöver «Trident Juncture 18» in Norwegen nur sechs Armeeangehörige als «Beobachter». Im Gegensatz zum «Arctic Challenge Exercise» gehe es um die hypothethische Verteidigung eines angegriffenen Nato-Landes.
Die Nicht-Nato-Mitglieder Schweden und Finnland nahmen damals jedoch teil. Für den Bundesrat war die Provokation gegenüber Russland wegen dem Ukraine-Konflikt wohl zu heikel. Umgekehrt war die Ukraine auch während dem Kampfjet-Manöver von 2015 schon Thema, da Russland die Krim 2014 besetzte.
Schliesslich nimmt die Schweiz auch regelmässig an Events teil, die sogar «Nato» im Namen tragen. Beim jährlich stattfindenden «Nato Tiger Meet» ist die Staffel 11 der Schweizer Luftwaffe seit 1981 Mitglied. Zwar scheint es sich dabei, den Bildern nach zu schliessen, mehr um eine Kampfjet-Fasnacht als seriöses Training zu handeln. Nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen – tauscht man sich aus und übt den gemischten Formationsflug.
Amherd: «Mehr Nato-Zusammenarbeit ist Option»
Dementsprechend werden mit der Forderung nach mehr Zusammenarbeit mit der Nato bei Verteidigungsministerin Viola Amherd offene Türen eingerannt. Das Thema sei ja nicht neu, betonte sie gestern auf eine entsprechende Frage: «Wir sind schon länger dran und wollen hier noch mehr machen.» Man sei bereits interoperabel mit den Nachbarländern und den Nato-Staaten.
Wie stark die Schweiz in die EU- und Nato-Strukturen eingebunden ist, zeigt auch ein beim VBS online geschaltetes Formular. Mit ihm erhalten Schweizer Personen Zugang zu vertraulichen oder noch geheimeren Informationen und militärischem Sperrgebiet von EU und Nato. Die Frage ist also längst nicht mehr «ob», nur noch «wie». Dass die Schweiz von solchem Zugang profitiert, ist für Amherd klar: Mehr Zusammenarbeit sei deshalb «selbstverständlich» eine Option.
Also doch so, wie das Finnland und Schweden bislang handhabten, aber nicht so, wie sie es heute tun, mit Beitrittsabsichten? Die Grenze dürfte dort liegen, wo aus reiner Übung konkrete Verpflichtungen werden, wo der (Fasnachts-)Spass zum Ernst wird. Wenn eine gemeinsame Luftverteidigung nicht nur heisst, dass umliegende Länder die Schweiz mitschützen. Sondern, dass die Schweiz aktiv andere Länder gegen Angreifer schützt.
Mit dieser Situation wäre die Schweiz definitiv nach einem Nato-Beitritt konfrontiert: Artikel 5 des Nordatlantikvertrags verpflichtet die Mitglieder, im Angriffsfall einander beizustehen. Bei Trainings und Manövern tritt ein solcher Fall aber nicht ein.
Wenn solche in der Vergangenheit als neutralitätskompatibel galten, könnten sie theoretisch auch ausgebaut werden. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Bundesrat je nach geopolitischer Lage etwas mehr oder weniger Zurückhaltung übt.