Nationalrat anerkennt Holodomor als einen Akt von Völkermord
Der Schweizer Nationalrat erkennt Stalins Hungersnot als Völkermord an.
Der vom Sowjetregime unter Josef Stalin zu verantwortende Hungertod von mehreren Millionen Menschen vor rund 90 Jahren ist ein Akt von Völkermord. So steht es in einer Erklärung, die der Nationalrat am Dienstag mit klarem Mehr gutgeheissen hat. Beantragt und formuliert hatte die Erklärung die Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission (APK-N).
Der Rat nahm sie mit 123 zu 58 Stimmen und mit sieben Enthaltungen an, gegen den Willen der SVP. Sie wird nun über das diplomatische Netzwerk des Aussendepartements verbreitet. Gemäss der Erklärung anerkennt der Nationalrat den Opfern den Holodomor als einen Akt von Völkermord.
Anerkennung trotz Widerstand
Gemäss dem Text starben während der Hungersnot in den Jahren 1932 und 1933 in der Ukraine vier Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, rund zwei Millionen Kasachinnen und Kasachen und Hunderttausende Russinnen und Russen.
«Der Nationalrat anerkennt nachweislich systematische Handlungen, welche grossflächig und gezielt zum Hungertod führen und in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, als einen Akt von Völkermord», heisst es im Text weiter.
Der grossen Hungersnot – eine Folge der vom sowjetischen Machthaber Stalin angeordneten Kollektivierung der Landwirtschaft – fielen mehrere Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Stalin liess massenhaft Getreide, Vieh und Lebensmittel in der Ukraine konfiszieren und entzog den Menschen damit Nahrungsmittel.
Symbolisches Zeichen gegen das Vergessen
Die Mehrheit der APK-N wollte mit der Erklärung ein symbolisches Zeichen setzen, dass des Holodomor gedacht werde, wie Sprecherin Christine Badertscher (Grüne/BE) sagte. Die SVP lehnte die Erklärung mit einem Minderheitsantrag ab.
Die Anerkennung des Holodomor als Völkermord sei nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 auf die politische Agenda gesetzt worden, sagte Sprecherin Monika Rüegger (SVP/OW) dazu. Dass nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer von der Hungersnot betroffen gewesen seien, werde dabei ausgeblendet.
Völkermord: Eine Frage für internationale Gerichte?
Die Bewertung des Begriffs Völkermord obliege internationalen Gerichten mit entsprechendem Mandat, so Rüegger. «Die Schweiz entscheidet nicht über Völkermord und soll sich nicht instrumentalisieren lassen.» Bislang haben Parlamente in mehreren Ländern den Holodomor als Völkermord anerkannt, darunter in Deutschland, Frankreich, Polen, den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland und auch das EU-Parlament.
Der National- und der Ständerat können zu wichtigen Ereignissen oder Problemen eine Erklärung abgeben. Diese kann die Innen- und auch die Aussenpolitik betreffen. Die Erklärung angestossen hatte die ehemalige Berner Nationalrätin Natalie Imboden (Grüne) mit einem inzwischen zurückgezogenen Postulat.