Ohne Bewilligung: Ruag hat 1140 Armee-Ersatzteile verschrottet
Die Eidgenössische Finanzkontrolle hat die Lagerung von Armee-Ersatzteilen durch die Ruag untersucht. Unter anderem gab es viele unbewilligte Verschrottungen.
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Das Wichtigste in Kürze
- Bei der Lagerung von Armee-Ersatzteilen durch die Ruag gibt es Unklarheiten.
- Die Eidgenössische Finanzkontrolle ist diesem Problem nachgegangen.
- Innert zehn Jahren hat die Ruag über 1000 Verschrottungen ohne Bewilligung vorgenommen.
Hat die Ruag Ersatzteile der Armee für ihr eigenes Geschäft mit Dritten verwendet? Diesem Verdacht ging die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) nach – und stiess dabei auf diverse Mängel bei der Lagerhaltung und deren Dokumentation. Den Verdacht des Betrugs und damit der Schädigung der Armee konnte die EFK nicht ausräumen.
Über 1000 Verschrottungen ohne Bewilligung
Das grundsätzliche Problem scheint zu sein, dass niemand hundertprozentig sicher ist, was genau gelagert wird. Entsprechend ist eine Kontrolle schwierig. Was die EFK aber festgestellt hat: Im Zeitraum 2014 bis 2023 hat die Ruag 1140 Verschrottungen und 1319 Inventuranpassungen ohne Bewilligung der Armee vorgenommen.
Die Ruag verwaltet für die Armee sogenannte Konsignationslager zu Waffensystemen. Die EFK-Prüfung konzentrierte sich auf Lager der Raupenfahrzeuge, weil es bei den Leopard-1- und Leopard-2-Panzern zu Vorfällen gekommen sei. Dabei stellte die EFK fest: Obwohl die Logistikbasis der Armee (LBA) die Ruag-Lager kontrollieren sollte, tut sie das praktisch nicht.
Die LBA habe kein Leserecht auf das Ruag-Lagersystem und auch nicht auf das SAP-Produktivsystem, obwohl das vertraglich so vereinbart ist. Auch der bundeseigene Rüstungsbeschaffer Armasuisse sollte dies haben, doch: «Armasuisse und LBA konnten dieses Zugriffsrecht bei RUAG bis heute nie durchsetzen», hält die EFK fest.
Bund übt Kontrolle nicht aus
Theoretisch dürfe die LBA mit Unterstützung von Armasuisse bei Ruag Inspektionen und Audits durchführen, schreibt die EFK in ihrem Bericht. Beide hätten von ihrem Recht aber trotz Problemen nie Gebrauch gemacht. Die LBA habe lediglich pro Jahr einen manuell erstellten Bericht über den Lagerbestand erhalten. So habe man zum Teil mit zwölf Monate alten Zahlen operiert.
Komme dazu, dass dieser Bericht wenig aufschlussreich sei: «Ein Materialverbrauch für die Instandhaltung zugunsten der Armee sieht beispielsweise gleich aus wie eine Ausbuchung aufgrund einer Verschrottung.» Ein manuell erstellter Bericht bei über 10'000 verschiedenen Artikeltypen sei zudem fehleranfällig und ineffizient.
Inventur? Was für eine Inventur?
Die EFK führte in zwei Lagern eine Inventur durch. Dabei habe sich gezeigt: Defektes Armeematerial sei physisch teilweise nicht klar gekennzeichnet und könne nicht vom einsatzbereiten Material unterschieden werden. So könne die Logistikbasis der Armee gar nicht wissen, was der Bestand an einsatzfähigem Material ist.
Vertraglich sei zwar festgehalten, dass die Konsignationslager der Ruag dem Inventurbefehl der LBA unterstehen. Die EFK hält fest: «Es fand jedoch noch nie eine Inventur statt.» Es habe sich herausgestellt, dass dies irrtümlich nicht im Inventurbefehl enthalten war.
Ein Irrtum, der offenbar kein Einzelfall ist: «Auch Ruag hat nach eigenen Angaben nie eine Inventur durchgeführt», schreibt die EFK. Obwohl sie vertraglich für die Vollständigkeit der Lager verantwortlich ist.
Ruag hat bereits gehandelt
Die LBA hat noch während dieser Prüfung durch die EFK den Inventurbefehl angepasst. Das Generalsekretariat des VBS, die LBA, Armasuisse und Ruag haben in ersten Stellungnahmen die Resultate der Prüfung und die Empfehlungen grossmehrheitlich akzeptiert.
Bestimmte Mitarbeitende des VBS haben mittlerweile Zugriffsrechte für das SAP-System der Ruag. Und die Inventur der Finanzkontrolle ergab immerhin ein genügendes (Thun) und ein gutes (Zweisimmen) Resultat. Lies: Immerhin 94,2 beziehungsweise sogar 96,0 Prozent der Artikel waren korrekt.
Betrug im zweistelligen Millionenbereich
Besonders schwer wiegen die Erkenntnisse der EFK rund um die Geschäfte mit den Leopard-1- und Leopard-2-Panzern. Bei deren Kauf waren Unregelmässigkeiten festgestellt worden, und Ruag beauftragte eine Anwaltskanzlei mit einer externen Untersuchung. Diese ist noch im Gange.
Gemäss dem EFK-Bericht gibt es bereits jetzt genügend Anhaltspunkte für einen möglichen Betrugsfall in zweistelliger Millionenhöhe. Mindestens ein ehemaliges Kadermitglied soll darin involviert sein. Laut der EFK soll Material zu Preisen verkauft worden sein, die weit unter dem Marktpreis lagen.
Ruag kündigt personelle Änderungen an
Ruag-Verwaltungsratspräsident Jürg Rötheli, erst seit Januar 2025 im Amt, fordert eine rasche und schonungslose Aufklärung der Vorgänge. «Die Zustände sind nicht akzeptabel – ich bin erschüttert.» Die Ruag stecke in einer Krise, da gebe es nichts zu beschönigen. Eine Vertrauenskultur müsse wieder Einzug nehmen.
Es seien «umfangreiche Massnahmen und ein Programm» geplant zur Neuorganisation der Unternehmensleitung. Die Arbeiten dazu hätten bereits begonnen. Zudem braucht es laut Rötheli auch personelle Veränderungen «auf allen Stufen». Details dazu liess er zunächst offen.