Politologe warnt vor Kauf-Verbot von Unterschriften
Bei der Unterschriftensammlung für Volksinitiativen wurde massiv betrogen. Einige fordern jetzt ein Verbot des kommerziellen Sammelns. Politologen ordnen ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei kommerziell gesammelten Unterschriften kommt es offenbar zu massiven Tricksereien.
- Politologen schätzen ein, wie sich das aufs Vertrauen in die Demokratie auswirken könnte.
- Auch die Diskussion über ein Bezahl-Verbot für Unterschriften kommt neu auf.
Es ist eine Enthüllung, die es in sich hat. In der Schweiz wurde beim Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden betrogen.
Im Fokus stehen dabei kommerzielle Organisationen wie Incop – ältere Bögen sollen beispielsweise einfach abgeschrieben worden sein. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Wahlfälschung.
Der Kanton Waadt legte eine Liste mit den zwölf Initiativen, bei denen am meisten betrogen wurde, offen. Sowohl linke als auch rechte Anliegen sind davon betroffen.
Klar ist: Ein solcher Fall wirft ein schlechtes Licht auf die Volksbegehren, die in der Schweiz ein wichtiges demokratisches Mittel sind.
Politologen ordnen die Bedeutung des Skandals nun gegenüber Nau.ch ein. Dabei geht es um das Vertrauen in die Demokratie und auch um ein mögliches Verbot für das Bezahlen von Unterschriften.
Vertrauen in Demokratie dürfte kaum leiden – betroffene Initiativen schon
Oliver Strijbis, Professor für Politikwissenschaft an der Franklin University Switzerland, sagt: «Zu einem gewissen Vertrauensverlust dürfte es schon kommen.» Grundsätzlich dürfte die direkte Demokratie aber nicht infrage gestellt werden.
Der Experte erklärt: «Auch bei den Abstimmungen, die möglicherweise nur aufgrund der Fälschungen zustande gekommen sind, durfte die Bevölkerung am Schluss entscheiden.» Entsprechend seien Fälschungen von Unterschriftenbögen beispielsweise nicht mit Fälschungen von Abstimmungs- oder Wahlresultaten vergleichbar.
Der Tessiner Politologe Nenad Stojanović von der Universität Genf betont zunächst: «Generell ist das Vertrauen in die politischen Institutionen in der Schweiz verglichen mit anderen Ländern sehr hoch.»
Durch einen Einzelfall wie das Unterschriften-Gate werde dieses Vertrauen kaum erschüttert, so Stojanović. Doch: Wenn ein solches Ereignis sich wiederholen würde, könnte es sich negativ auswirken. «Auf jeden Fall stärkt eine solche Enthüllung das Vertrauen nicht.»
Strijbis erklärt zudem, dass die betroffenen Initiativen selbst ebenfalls unter den Enthüllungen leiden könnten. «Ein gewisser Imageschaden droht tatsächlich.» Die Gegner könnten zeigen, dass die Initianten nur mit Geld und bei «problematischen Anbietern» zu den Unterschriften gekommen sind. Damit würden sich die Initianten in der Defensive befinden.
Verbot von kommerziellem Sammeln hätte Folgen
Nach der Enthüllung kommt nun die Diskussion über ein Verbot von bezahltem Unterschriftensammeln wieder auf. Grünen-Nationalrätin Greta Gysin fordert ein solches.
Schon 2012 reichte Cédric Wermuth einen Vorstoss zu dem Thema ein – «leider ohne Erfolg», wie er nun auf X schreibt. «Gewerbsmässiges Unterschriftensammeln ist eine Gefahr für die Demokratie», so der heutige SP-Co-Präsident auf dem Twitter-Nachfolger.
Ein solches Verbot hätte auf jeden Fall Folgen, sagt Strijbis. «Es würde den Kreis jener, die ‹initiativfähig› sind, einschränken.»
Parteien und Verbände mit vielen Mitgliedern würden wohl weiterhin genug Unterschriften sammeln können, so der Politikwissenschaftler. «Akteure, die zwar finanzstark sind, aber wenig Rückhalt in der Bevölkerung haben, würden es hingegen schwieriger haben.»
Das sei auch gut, sagt Strijbis. Denn so würde sich besser zeigen, welches Begehren in der Bevölkerung tatsächlich ein Mindestmass an Unterstützung hat.
Im Falle eines Verbots dürften Initiativen häufiger nicht zustande kommen. Gegensteuer könnte man laut Strijbis geben, in dem man die Zahl der nötigen Unterschriften senkt. Auch die Einführung eines elektronischen Sammelns wäre denkbar.
Politologe plädiert für digitale Lösung statt Verbot
Stojanović sagt: «In einer idealen Welt sammeln nur engagierte Leute, die vom Anliegen überzeugt sind, Unterschriften – und zwar unentgeltlich. Realistischerweise ist es aber kaum möglich, ohne professionelle Unterstützung genügend Unterschriften zu sammeln.»
Wer eine Initiative oder ein Referendum mithilfe von professioneller Unterstützung einreichen will, habe zwei Optionen. «Erstens haben finanziell starke Parteien oder Organisationen eigene Mitarbeitende, die in ihrer Arbeitszeit Unterschriften sammeln können.»
Die zweite Option seien externe Organisationen wie Incop, die aus kommerziellen Gründen entstanden sind. «Sie sammeln Unterschriften, um Geld zu verdienen.»
Laut Stojanović gibt es bei diesen externen Organisationen mehrere Fragezeichen: Einerseits ist der Mangel an Transparenz ein Problem, andererseits sei auch die Einhaltung des Datenschutzes nicht gewährleistet. «Man weiss als Bürger oder Bürgerin nicht, was dann mit diesen Bögen passiert», so der Politologe. Da bestehe Handlungsbedarf.
Für Stojanović ist ein Verbot aber keine Lösung. «Ein Verbot ist nicht so einfach umzusetzen. Beispielsweise ist die Abgrenzung zwischen eigenen Mitarbeitenden und externen Sammlern schwierig.» Es wäre also kompliziert zu klären, wer letztlich eine Berechtigung zum Unterschriftensammeln hat und wer nicht.
Der Politologe spricht sich eher für eine digitale Lösung des Problems aus. Beispielsweise könnten alle Bürger über eine App einen Code erhalten, der jeweils für ein Referendum oder für eine Initiative gilt.
Auf dem Bogen würde man dann anstatt der gesamten Adresse und des Namens nur den Code und die Unterschrift angeben. «Das wäre vom Datenschutz her deutlich besser», so Stojanović.