SP empört: Innendepartement kürzt IV-Beiträge für behinderte Kinder
Der Bund kürzt IV-Beiträge für behinderte Kinder. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer ist empört, sie fordert eine Lösung, die nicht auf Kosten der Kinder geht.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Invalidenversicherung kürzt die Leistungen für die Behandlung von Geburtsgebrechen.
- Bersets Innendepartement hat den Entscheid entgegen dem Willen des Parlaments gefällt.
- SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer fordert eine Lösung, die nicht auf Kosten der Kinder geht.
Bis anhin bezahlte die Invalidenversicherung (IV) für die Behandlung von Geburtsgebrechen bei stark behinderten Kindern beispielsweise die Miete lebensnotwendiger Geräte. Doch damit ist nun Schluss: Viele Eltern müssen die Kosten ab sofort selber tragen, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet. Teilweise geht es um Beträge von mehr als 10'000 Franken im Jahr, die Sorge bei den Betroffenen ist gross.
Die IV übernimmt bei Kindern mit Geburtsgebrechen nur noch Leistungen, die auf der sogenannten Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) stehen. Unter der Führung von SP-Bundesrat Alain Berset hat das Innendepartement die Einschränkung entgegen dem Willen des Parlaments vorgenommen: Die eidgenössischen Räte hatten sich 2019 im Rahmen der «Weiterentwicklung der Invalidenversicherung» nämlich explizit gegen diese Änderung gewehrt.
Für den Entscheid hagelt es Kritik, auch aus den eigenen Reihen. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer erklärt gegenüber Nau.ch: «Die Eltern von behinderten Kindern sind schon jetzt sehr gefordert.» Mit der Änderung der Kostenübernahme kämen nur noch zusätzliche finanzielle Sorgen hinzu.
SP fordert Lösung, die nicht auf Kosten der Kinder geht
Natürlich würden sich IV und Hersteller über die Preise von bestimmten Hilfsmitteln für behinderte Kinder streiten. Für die Einschränkung der Leistungen hat Meyer allerdings kein Verständnis: «Es kann nicht sein, dass dieser Streit auf dem Buckel von schwerkranken Kindern und ihren Eltern ausgetragen wird!» Dass ausgerechnet sie die Rechnung dafür erhalten, stösst bei der Sozialdemokratin auf Unbehagen.
Meyer ist überzeugt: Viele Firmen der Pharma- und Medizinbranche machten ein lukratives Geschäft und verlangten viel zu hohe Preise. Dies könnten die Unternehmen zum Teil auch tun, weil sie beinahe eine Monopolstellung innehätten, so die Zürcherin.
Deshalb erwarte die SP, dass das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen eine alternative Lösung findet: «Eine Lösung, welche nicht auf Kosten der schwerkranken Kinder und ihren Eltern geht.»
Auch Experten sind empört
Dass das Innendepartement diese Änderung jetzt mittels einer Verordnung vorgenommen hat, die keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt, empört auch die Experten: Die Mittel- und Geräteliste sei für Kinder überhaupt nicht geeignet.
Erstens seien einige Geräte überhaupt nicht oder nicht für die entsprechende Anwendung gelistet. Zweitens seien die benötigten Mengen an Verbrauchsmaterialien bei Kindern teilweise viel grösser, als das an Erwachsenen gemessene Jahreslimit. Drittens fehlten medizinisch wichtige Zusatzleistungen wie Service oder Geräteinstruktion.
Einige für die Kinder wichtigen Therapiegeräte könnten deshalb nicht mehr verschrieben werden, erklärt Nicolas Regamey gegenüber der «NZZ am Sonntag». Der Präsident der «Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie» ist überzeugt: Der Bundesrat habe eine jahrelange Praxis geändert, ohne die Konsequenzen für Betroffene vor Augen zu haben.
Diese Konsequenzen würden sich nun aber zeigen: Derzeit melden sich hunderte Familien bei der Sozialberatung der Uni-Kinderklinik in Zürich, bei der Lungenliga oder bei der Behindertenorganisation «Procap».
Bundesamt für Sozialversicherungen weist Vorwürfe zurück
Das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen weist die Vorwürfe von sich: Man habe keine neue Liste eingeführt, sondern die Wirkung einer bestehenden im Sinne der Gleichbehandlung ausgeweitet. Diese Praxisänderung führe nicht zu Leistungseinschränkungen.
Die Firmen könnten bloss keine beliebigen Preise mehr in Rechnung stellen, da sie sich jetzt an die Migel-Tarife halten müssten. Tatsächlich sind sich Experten gegenüber der «NZZ am Sonntag» einig: Gewisse Firmen konnten bisher viel verrechnen, weil es von der IV unbesehen bezahlt wurde.
Dieser Behauptung widerspricht «Procap» allerdings: Erweiterungen der Liste und Anpassungen der Tarife seien ein langer Prozess, der von den Herstellerfirmen angestrengt werden müsse. Betroffene hätten aber überhaupt keine Zeit für einen Anbieterwechsel gehabt. Überdies lieferten günstigere Anbieter oft nur ein Teilangebot.
Eine Korrektur vonseiten des Parlaments dürfte lange dauern. Entsprechend gross ist auch die Empörung vonseiten der Volksvertreterinnen und Volksvertreter: Die negativen Reaktionen reichen von den Sozialdemokraten bis hin zur Jungen SVP – der Entscheid solle rückgängig gemacht werden.