Verschwörungstheoretiker mit Referendum gegen Corona-App
Obwohl viele die SwissCovid-App längst installiert haben, ergreifen Verschwörungstheoretiker das Referendum. Sie berufen sich auf Finanzminister Ueli Maurer.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine krude Truppe aus der Romandie ergreift das Referendum gegen die SwissCovid-App.
- Als Kronzeuge benutzen sie Bundesrat Ueli Maurer – dieser will sich nicht dazu äussern.
Seit rund einem Monat steht die SwissCovid-App zum Download bereit. Über eine Million Schweizerinnen und Schweizer nutzen das Corona-Warntool bereits – freiwillig. Doch obwohl niemand zur Installation verpflichtet ist, besteht eine rechtlich saubere Grundlage.
In der Sommersession nickte eine klare Mehrheit von National- und Ständerat die dringliche Änderung des Epidemiengesetzes ab. Sakrosankt ist diese rechtliche Grundlage aber noch nicht.
Eine bunte Truppe aus der Romandie hat bereits Ende Juni das Referendum angekündigt. Heute vermeldeten dies diverse Onlineportale als Neuigkeit. Grund der Aufregung: Morgen Dienstag stellen die kuriosen App-Gegner ihre Argumente vor.
Referendumsführer trat vor Rechtsextremen auf
Angeführt werden sie von François de Siebenthal. Der Romand trat in der Vergangenheit bereits öfter in Erscheinung.
2019 war er Mitorganisator einer «Gilets Jaunes»-Demo auf dem Bundesplatz. Plädiert wurde etwa für die Abschaffung des Völkerrechts, günstigere Mieten und den Kampf gegen 5G.
Im Jahr zuvor tauchte de Siebenthal im Initiativkomitee der 2018 abgelehnten «Vollgeld-Initiative» auf. Die anderen Mitglieder distanzierten sich allerdings von ihm, weil er kurz vor der Abstimmung bei der Résistance Helvétique in Aigle VD auftrat.
Dabei handelt es sich um eine Gruppe mit Verbindungen zur Neonazi-Szene. Am Tagungsort seien Bilder von Menschen mit Hakenkreuzen und SS-Runen gehangen, berichtete der «TagesAnzeiger».
Ein Mitstreiter sagte der Zeitung seufzend: «Er ist zwar Initiant, aber er führt in der Romandie ein Eigenleben, das nichts mit unserer Kampagne zu tun hat.» De Siebenthal selbst hielt fest, «weder ein Nazi noch ein Rassist» zu sein.
Kampf auf «1291» – SVPler im Komitee wollte die Todesstrafe
Sicher ist: de Siebenthals Supporter im Kampf gegen die Covid-App sind teilweise selbst keine Unbekannten. Als einziger Nationalrat tritt am Dienstag der SVP-Mann Jean-Luc Addor auf.
Nationale Bekanntheit erlangte der Walliser bereits 2013 mit der Forderung nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe. Aktuell wehrt er sich vor Bundesgericht gegen ein Urteil, das ihn als Rassendiskriminierer brandmarkt. Auf der Seite «1291.one» kämpfen die beiden nun gegen die Corona-App.
Bundesrat als Gegner aufgeführt – Ueli Maurer schweigt
Unter anderem warnen sie vor Überwachung. «SwissCovid = Krypto AG für alle!» heisst es zuoberst auf der Webseite. Daneben wirbt die dubios anmutende Webseite aber auch für Spirituelles oder «informiert» über angebliche Gefahren von 5G.
An der Pressekonferenz wollen unter anderem auch ein Gesundheits-Anthropologe, ein Mathematik-Lehrer und ein «Master in der interkulturellen Kommunikation» teilnehmen. Ebenfalls vor Ort sein soll Pierre Santschi (80). Der Waadtländer war vor Jahrzehnten Direktor der IT-Abteilung der Westschweizer ETH.
Als Kronzeuge gegen die App dient der kruden Truppe Finanzminister Ueli Maurer. Dieser hatte kürzlich in einem Radio-Interview gesagt, dass er die App nicht heruntergeladen habe, weil er «nicht druus» komme.
Das reicht dem Komitee, um ihn unter den prominenten Gegner zu listen – obwohl sich Maurer nie gegen die App an sich äusserte. Das Finanzdepartement will sich zu Maurers Auflistung unter den «Gegnern» auf Anfrage nicht äussern, erklärt Kommunikationschef Peter Minder.
Abstimmung erst in einem Jahr?
Die Gruppe um de Siebenthal hat bis am 8. Oktober Zeit, die 50'000 nötigen Unterschriften zu beschaffen. Haben Sie Erfolg, dürfte es aber noch etwas dauern bis zur Abstimmung. «Im Gegensatz zu Volksinitiativen gibt es bei Referenden keine gesetzliche Frist zur Ansetzung der Volksabstimmung», sagt Andreas Ledergerber von der Bundeskanzlei zu Nau.ch.
Er verweist auf Artikel 165 der Bundesverfassung. Darin heisst es: «Wird zu einem dringlich erklärten Bundesgesetz die Volksabstimmung verlangt, so tritt dieses ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb dieser Frist vom Volk angenommen wird.»
Konkret: Die Abstimmung müsste vor dem 19. Juni 2021 stattfinden, um die Voraussetzung zu erfüllen. Der Bundesrat würde mindestens vier Monate vor dem Urnengang ein Datum festlegen. Auf die Frage, was nach einem Ja zum Referendum genau geschehen würde, geht die Bundeskanzlei nicht ein.
Aufruf zur Eigen-Beglaubigung
So oder so dürften die App-Gegner kaum 50'000 Unterschriften fristgerecht zusammenbekommen. Denn gerade in der Deutschschweiz scheint das Komitee schlecht vernetzt zu sein.
Wohl auch deshalb lagert das Komitee einen Grossteil der Arbeit aus. Wer das Referendum unterschreiben will, soll seine Signatur gleich selbst auf der Gemeinde beglaubigen lassen.