Vertrauenskrise: Bundesräte können kein Geheimnis für sich behalten
Dass im Bundeshaus interne Informationen nach aussen fliessen, ist seit Jahren eine Problematik. Jetzt traut das Parlament selbst dem Bundesrat nicht mehr.
Das Wichtigste in Kürze
- Indiskretionen auf höchster Ebene: Selbst dem Bundesrat traut das Parlament nicht mehr.
- Der Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation erläutert, warum.
- Das Vorgehen erinnert an den Streit um Akten-Einsicht bei der Tinner-Affäre.
«Es ist ein Armutszeugnis», sagt SVP-Nationalrat Alfred Heer. Er ist unter anderem Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation GPDel. Das exklusive Gremium aus lediglich sechs National- und Ständeräten überwacht die Überwacher. Das heisst den Staatsschutz, die Nachrichtendienste und alles, was sonst noch geheim ist.
Vertrauenspersonen also, denn die GPDel darf Dinge sehen, die sonst nur der Bundesrat darf. Das Problem: Jetzt traut die GPDel dem Bundesrat nicht mehr. Kein Wunder, denn in dieser Woche ist selbst aus bundesratsnahen Kreisen zu hören: So könne man einfach nicht mehr arbeiten.
Interna in den Medien
Wie in jedem Staat gibt es auch in der Schweiz Dokumente mit unterschiedlicher Geheimhaltungsstufe. Dinge, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind: Erkenntnisse des Nachrichtendiensts zum Beispiel. Oder Sitzungsprotokolle, weshalb es zum Beispiel im Parlament ein Komissionsgeheimnis gibt.
Oder im Bundesrat das Kollegialitätsprinzip: Nach aussen werden nur Entscheide, aber nicht die Diskussionen davor kommuniziert. Letzteres wurde diese Woche einmal mehr gebrochen, nachdem durchsickerte, dass Bundesrat Ueli Maurer eine langsamere Lockerung der Pandemie-Massnahmen beantragt habe. Postwendend dementierte der SVP-Bundesrat, legte seine Anträge offen und brach damit ganz offiziell gleich persönlich das Kollegialitätsprinzip erneut.
GPDel traut Bundesräten nicht
Das ist zumindest unschön, doch geht es rein thematisch wenigstens «nur» um politische Zankäpfel. Bei der Krise zwischen GPDel und Bundesrat dagegen um tatsächlich geheime Informationen.
Im Rahmen der Aufarbeitung des Crypto-Skandals hatte die GPDel Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer ermächtigt, eine Untersuchung durchzuführen. Nach deren Abschluss bot die GPDel der zuständigen Bundesrätin Viola Amherd und dem NDB an, eine Kopie des Berichts abzugeben. Der Bundesrat liess wissen, er verzichte, ausser alle Bundesrats-Mitglieder erhielten eine eigene Kopie.
Darauf verzichtete wiederum die GPDel – das sei zu riskant gewesen, begründet Alfred Heer den ungewöhnlichen Schritt gegenüber Nau.ch. «Aufgrund der Tatsache, dass bereits unser Inspektionsbericht, nachdem er den Bundesräten verschickt wurde, plötzlich auszugsweise vor unserer Veröffentlichung in den Medien kam.»
Zudem habe es bereits im Vorfeld der Inspektion der GPDel Berichte in den Medien gegeben. Damals ging es um die Sitzungen des Bundesrates bezüglich den Alt Bundesräten Koller und Villiger. Geheime Dokumente, die nur von den zuständigen Personen gesehen werden dürfen – und dann dürfen nicht einmal mehr diese? «Ja, es ist leider ein grosses Armutszeugnis», bekräftigt Heer.
Bundesrat nur unter Aufsicht
Ganz zuschlagen will man die Türe bei der GPDel nicht: Es stehe jedem Bundesrat frei, den Oberholzer-Bericht bei der GPDel einzusehen. Quasi mit einem Aufpasser im Rücken, weil man weiss ja nie, bei diesen Landesmüttern und -vätern.
Ähnliche Restriktionen sind zwar nicht völlig unüblich. So gibt es immer wieder Unterlagen von Kommissionssitzungen, die einzeln nummeriert sind und bei Sitzungsende wieder eingezogen werden. Die Einsichtnahme unter Aufsicht erinnert Heer dagegen an die Tinner-Affäre – nur waren dort die Vorzeichen umgekehrt. Und auch die Tragweite grösser, die Eskalationsstufe höher, bis hin zur bewaffneten Konfrontation.
Von der Tinner-Affäre zum Crypto-Skandal
Kurz zusammengefasst: Die Tinner-Akten hatte der Bundesrat, die GPDel durfte sie nicht einsehen. Der Streit führte dazu, dass bewaffnete Berner Kantonspolizisten die Akten bei der Bundespolizei beschlagnahmen wollten. Beziehungsweise einen Tresor, in welchem eventuell ein Schlüssel lag – es ist kompliziert.
Die Dinge gingen derart hoch zu und her, weil die Tinner-Akten kein Pappenstiel sind. Geheimdienstinformationen standen da drin, vor allem von der CIA. Dazu nichts weniger als Baupläne für Atomwaffen. Informationen, die nicht nur nicht an die Medien gelangen sollten, sondern am besten überhaupt nirgends hin.
Boshaftigkeit oder Unfähigkeit
Schliesslich einigte man sich zwischen GPDel und Bundesrat darauf, dass gewisse Personen gewisse Teile der Akten sehen durften. Unter Aufsicht. Und an diesem Punkt sind wir jetzt also erneut, weil der Bundesrat nicht dichthalten kann? Immerhin geht es diesmal nicht um die Verhinderung des Dritten Weltkriegs.
Alfred Heer relativiert. Die Amtsgeheimnisverletzungen seien vermutlich nicht durch die Bundesräte selber, sondern in ihrem Umfeld passiert. «Ob aus schlechtem Willen, Boshaftigkeit, politischer Intrige oder schlicht Unfähigkeit kann ich allerdings nicht abschliessend beurteilen.»