Terrorattacke in Lugano: So geht die Schweiz mit Risikopersonen um
Die mutmassliche Täterin von Lugano war dem Fedpol bekannt. In solchen Fällen führen die Behörden oftmals eine «Gefährderansprache». Doch was bringt diese?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Angreiferin von Lugano war der Bundespolizei schon seit 2017 bekannt.
- Bei sogenannten «Gefährdern» suchen die Behörden normalerweise zuerst eine Aussprache.
- Ob eine solche bei der 28-Jährigen stattgefunden hat, ist nicht klar.
Eine 28-jährige Schweizerin ging am Dienstag im Warenhaus Manor in Lugano mit einem Messer auf zwei Frauen los. Eine davon wurde schwer verletzt. Die Bundesanwaltschaft hat ein Terrorismus-Verfahren eingeleitet. Über den Hintergrund der Täterin kommen immer mehr Details ans Licht.
So hat das Bundesamt für Polizei Fedpol heute Mittwoch mitgeteilt, dass die Frau schon 2017 auf ihrem Radar auftauchte. Ermittlungen hätten damals ergeben, «dass sich die Person damals über soziale Medien in einen dschihadistischen Kämpfer aus Syrien verliebte».
Sie versuchte darum, zu ihm nach Syrien zu reisen, wurde aber von den türkischen Behörden an der Grenze aufgehalten und zurückgeschickt. In der Schweiz wurden bei ihr psychische Probleme diagnostiziert, weshalb sie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde.
Täterin war bekannt
Die Frau dürfte den Strafverfolgungsbehörden darum als sogenannte «Gefährderin» bekannt gewesen sein, sagt Mauro Mantovani, Dozent für strategische Studien an der Militärakademie der ETH Zürich gegenüber Nau.ch. Eine Gefährderin gilt zwar als potenziell gefährliche Person, allerdings reicht das alleine nicht aus, um sie direkt in Gewahrsam zu nehmen.
Stattdessen würden die Strafverfolgungsbehörden in vielen solchen Fällen eine «Gefährderansprache» durchführen. Dabei wird die betreffende Person kontaktiert und ein persönliches Gespräch gesucht. Es wird klargemacht, dass man Kenntnis von der Situation und den potenziell von ihr ausgehenden Gefahren habe. Die Behörden fordern die Person schliesslich auf, ein bestimmtes Verhalten zu ändern.
Wurde die Täterin zum Gespräch vorgeladen?
Gefährderansprachen praktiziert zum Beispiel die Kantonspolizei Zürich seit 2012. Man zieht dort ein positives Fazit: «Essenziell ist und bleibt das persönliche Gespräch mit der betroffenen Person, in dem sie ihre Sichtweise auf die Situation schildern kann. Betroffenen Personen wird Gehör gewährt; sie nehmen deshalb Gesprächstermine in der Regel wahr und sind bereit, mit der Polizei zu sprechen. Dadurch lassen sich die Konflikte vielmals entschärfen», schreibt sie in einer Mitteilung.
Ob bei der Angreiferin von Lugano ein solches Gespräch stattgefunden hat, will aktuell weder die Bundespolizei noch der Nachrichtendienst des Bundes bestätigen.
Der NDB weist aber darauf hin, dass der Begriff «Gefährder» die Kriterien nachrichtendienstlicher Analysen nicht erfülle und er darum von «Risikopersonen» spreche. So erklärt sich die Differenz zwischen der Anzahl gemeldeter Gefährder durch die Strafverfolgungsbehörden und der Anzahl Risikopersonen, welche wiederum der NDB veröffentlicht.
57 Risikopersonen in der Schweiz
Eine Risikoperson werde vom Nachrichtendienst «gemäss einer Kombination sehr präziser Kriterien bestimmt, wobei ein konkreter Gewaltbezug ausschlaggebend ist», schreibt er auf Anfrage. «Aktuell verzeichnet der NDB 57 Risikopersonen (67 im November 2019). Als Risikopersonen erfasst werden sowohl Dschihadisten als auch Personen, die andere Formen des Terrorismus unterstützen und dazu ermutigen.»
Diese Personen werden laufend der Bundesanwaltschaft und dem Fedpol gemeldet. Diese entscheiden dann über das weitere Vorgehen.
Seit die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates diesen Herbst einer parlamentarischen Initiative zur Verschärfung der Terrorismus-Strafnorm gefolgt ist, ist neu auch ein härteres Eingreifen möglich. Die Referendumsfrist läuft noch bis Anfang 2021.