Wolf: Erste Abschuss-Gesuche aus Graubünden wohl schon nächste Woche
Der Bund gibt den Wolf zum präventiven Abschuss frei: Erste Gesuche aus dem Kanton Graubünden werden bereits nächste Woche erwartet – Tierschützer sind besorgt.
Das Wichtigste in Kürze
- Ab dem 1. Dezember dürfen die Kantone Wölfe erlegen, um zukünftigen Schaden zu verhüten.
- Aus Graubünden dürften erste Abschuss-Gesuche bereits nächste Woche eingereicht werden.
- Tierschützer mahnen: Auch bejagte Wölfe würden nicht plötzlich zu Vegetariern.
Am Mittwoch hat der Bundesrat entschieden, einen Teil des revidierten Jagdgesetzes per sofort in Kraft zu setzen: Demnach dürfen die Kantone bereits ab dem 1. Dezember sogenannte «präventive Regulierungsmassnahmen» ergreifen.
Konkret bedeutet dies, dass Wölfe neuerdings geschossen werden dürfen, um zukünftige Schäden zu verhindern und nicht erst nach entstandenen Schäden. Als Grund für den Entscheid nennt der Bundesrat das rasante Wachstum der heimischen Wolfspopulation und der Anstieg der Anzahl Wolfsrisse.
An der anberaumten Medienkonferenz in Bern erklärte Bundesrat Albert Rösti: «Wenn wir jetzt nicht handeln, geht das Wachstum der Wolfspopulation so weiter.» Dies sei mit «untragbaren Schäden und Verlusten ganzer Zuchtfamilien bei Nutztieren» verbunden.
Der Kanton Graubünden atmet auf
Im Kanton Graubünden ist der Konflikt zwischen Wolf und Mensch besonders gross: Aktuell leben im Kanton 12 verschiedene Rudel, die alleine in diesem Jahr schon 267 Nutztiere gerissen haben.
Entsprechend ist es keine Überraschung, dass der Kanton Graubünden den Entscheid des Bundesrats begrüsst. Auf Anfrage von Nau.ch erklärt die zuständige Regierungsrätin Carmelia Maissen: «Die neue Verordnung gibt den Kantonen mehr Handhabe bei der präventiven Wolfsregulation.»
Präventive Regulationsmöglichkeiten stünden im Einklang mit dem übrigen Wildtiermanagement, erklärt die Mitte-Politikerin: Beim Steinwild werde dieses Modell im Kanton Graubünden seit mehr als 50 Jahren erfolgreich umgesetzt.
Wolf: Erste Abschuss-Gesuche wohl schon nächste Woche
Noch ist unklar, wann die Kantone die ersten Wölfe schiessen werden. Auf Anfrage erklärt Maissen: Es sei absehbar, dass der Kanton Graubünden Anfang nächster Woche erste Gesuche beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) einreichen werde. Die zuständigen Behörden würden dies zu gegebener Zeit entsprechend kommunizieren.
Trotz der neuen Regulierungsmöglichkeiten bleibt der Wolf eine geschützte Art, wie auch Bundesrat Rösti mehrmals betonte: «Die Tiere dürfen nur in begründeten Fällen geschossen werden.» Ferner müssen die Kantone die vorgeschriebene Mindestanzahl an Wölfen in einer bestimmten Region berücksichtigen.
Auch der Kanton Wallis dürfte schon bald mit präventiven Abschüssen beginnen. Auf Anfrage erklärt der zuständige Staatsrat Frédéric Favre von der FDP: «Wir sind ab dem 1. Dezember bereit und werden bis dahin fortlaufend alle relevanten Einzelheiten kommunizieren.»
Tierschützer schlagen Alarm
Ganz anders wird die Situation im Lager der Tierschützer und Wolfsfreunde interpretiert. David Gerke, Geschäftsleiter der «Gruppe Wolf Schweiz» vertritt die Ansicht, das Wachstum der heimischen Wolfspopulation sei völlig natürlich: «Der Wolf findet in der Schweiz viel freien Lebensraum und grosse Wildbestände vor.»
Es sei voraussehbar, dass der Bestand auch unter dem neuen Reglement weiter anwachsen werde, betont Gerke: «Die meisten geeigneten Lebensräume sind von Wölfen noch gar nicht besiedelt. Ausserdem werden auch mit einer rigiden Abschusspolitik noch mehr Wölfe aus dem benachbarten Ausland in die Schweiz einwandern.»
Gerke befürchtet die «geplante Auslöschung vieler Wolfsrudel» – dass der Wolfsbestand gemäss einer Tabelle festgelegt werden soll, widerspreche dem Volkswillen. «Die Gruppe Wolf Schweiz lehnt das Vorgehen des Bundesrates entschieden ab.»
Bundesrat geht zu weit?
Die Wolfsschützer fühlen sich übergangen. Die ursprünglich geplante Revision des Jagdgesetzes habe einen «tragbaren Kompromiss» dargestellt. Auch deshalb habe man im Dezember 2022 kein Referendum ergriffen. «Jetzt setzt der Bundesrat aber eine Verordnung in Kraft, die an mehreren Punkten über diesen gesetzlichen Rahmen hinausgeht.»
Gerke ist überzeugt, dass der Herdenschutz die einzige wirksame Massnahme gegen den Wolf darstelle. «Selbst bejagte Wölfe werden nicht zu Vegetariern. Sie finden jede Lücke im Herdenschutz.» Er verlangt deshalb, dass die Kantone den Ausbau des Herdenschutzes weiter vorantreiben.