Zoff ums Ständemehr eskaliert nach KVI-Nein
Das Ständemehr entscheidet über das Scheitern der Konzernverantwortungs-Initiative. Nun wird die Forderung nach der Abschaffung des Ständemehrs laut.
Das Wichtigste in Kürze
- Die KVI wird durch Volksmehr angenommen, aber von den Kantonen abgelehnt.
- Auf Twitter ist eine Diskussion über den Sinn des Ständemehrs entbrannt.
Das Ständemehr: Höchst umstritten und bei der Abstimmung vom Sonntag auch Match-entscheidend. Denn das Volk stimmte zwar am Sonntag mit einer Mehrheit von 50,7 Prozent für die Konzernverantwortungs-Initiative. Von den Kantonen waren aber nur achteinhalb dafür.
Somit haben die Kantone erstmals seit 65 Jahren eine Volksinitiative versenkt, welche vom Volk angenommen wurde. Und das sorgt bei den Verlierern für mächtigen Stunk.
«Das Ständemehr gehört auf den Müllhaufen der Geschichte», findet etwa Juso-Präsidentin Ronja Jansen.
Das Ständemehr gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. #KVI #abst20
— Ronja Jansen (@RonjaJansen) November 29, 2020
Und SP-Nationalrat Fabian Molina wirft in die Runde: «Wir brauchen eine Verfassungsreform, die dem Stadt-Land-Graben Rechnung trägt.» Versehen mit dem Hashtag: #SonderbundskriegWarGesternSchonVorbei.
Was sagt eigentlich die @SVPch zum Volkswillen bei der #KVI-Abstimmung? Im Ernst: Wir brauchen eine Verfassungsreform, die dem Stadt-Land-Graben Rechnung trägt. #SonderbundskriegWarGesternSchonVorbei
— Fabian Molina ✊🌹🌍 (@FabianMolinaNR) November 29, 2020
Undemokratisch sei, dass ein Appenzeller 43 Mal mehr Gewicht habe als ein Zürcher, schreibt SP-Fraktionschef Roger Nordmann. Er verlangt: «Eine Person, eine Stimme».
Le déni démocratique, c'est qu'un Appenzellois ait 43x plus de poids qu'un Zürichois. Democracy: one person = one vote https://t.co/nk84RybeCq
— Roger Nordmann (@NordmannRoger) November 29, 2020
Der ehemalige Grünen-Nationalrat Jo Lang fordert: «Minderheiten schützen heisst Ständemehr abschaffen!»
Eine klare Mehrheit der Französisch-+ Italienischsprachigen stimmt Ja @konzern_vi. #Minderheiten schützen heisst #Ständemehr abschaffen! @letemps @lecourrier @RadioTeleSuisse @NeuhausC @ErichAschi @j_buechi @UrsLeuthard @srfnews @SandroBrotz @BarbaraLuethi @MllerSRF @LukasGolder
— Jo Lang (@josef_lang) November 29, 2020
7,9 Prozent der Bevölkerung bereits acht Ständestimmen
Die Politiker erhalten prominente Unterstützung aus der Wissenschaft. So schreibt der Historiker der Universität Zürich, Philipp Sarasin: «Das Ständemehr sabotiert die Demokratie und blockiert die Schweiz.» Acht Kantone mit 7,9 Prozent der Bevölkerung würden bereits knapp ein Drittel der Ständestimmen auf sich vereinen: «Ein durch nichts zu rechtfertigendes Gewicht.»
Das sind die Anteile der kleinsten Kantone an der Gesamtbevölkerung (in %):
— Philipp Sarasin 🇺🇦 (@Philipp_Sarasin) November 29, 2020
AI: 0,2
OW: 0,4
UR:0,4
NW: 0,5
GL: 0,5
AI: 0,6
JU: 0,9
SH: 1
ZG:1,5
SZ: 1,9
= 16 Ständestimmen (von 26) mit 7,9% der Bevölkerung. Das #Ständemehr sabotiert die Demokratie und blockiert die Schweiz. https://t.co/umQbwrbTcU
Andere Lösungen für Minderheitenschutz
Dass es auch andere Lösungsansätze gäbe, darauf weist Polit-Analytiker Claude Longchamp hin. «Bevor die Diskussion zum Ständemehr in der maximalen Polarisierung endet: Es gibt zahlreiche Modelle für abgeschwächte Verfahren, die dem Kantons- oder Minderheitenschutz Rechnung tragen.»
#Ständemehr
— Claude Longchamp (@claudelongchamp) November 29, 2020
Bevor die Diskussion zum Ständemehr in der maximalen Polarisierung endet: Es gibt zahlreiche Modelle für abgeschwächte Verfahren ü, die dem Kantons- oder Minderheitenschutz Rechnung tragen, aber weniger krass wirken. @seanstmllr gibt Auskunft. @NeuhausC @RonjaJansen pic.twitter.com/YI9bPZcG36
Das Ständemehr als Instrument zum Schutze der Minderheiten – sprich der kleinen Kantone – gibt es seit der Staatsgründung 1848. Es wurde als Mittel des Föderalismus eingeführt, damit alle Gliedstaaten der Schweiz gleich sind.
Stände müssten über Ständemehr entscheiden
Laut diverser Studien nützt das Ständemehr heute den kleineren Landkantonen in der Inner- und Ostschweiz noch immer. «Benachteiligt» werden neben den «Grossen» Zürich und Bern auch die urbanen Zentren sowie die Romandie. Kein Wunder also, dass bei einer Nachwahlbefragung von Tamedia sich rund die Hälfte der Schweizer Stimmberechtigten gegen das Ständemehr aussprechen.
Um dies zu ändern, bräuchte es jedoch eine Verfassungsänderung, die dem Volk unterbreitet werden muss. Und diese würde höchstwahrscheinlich wiederum am Ständemehr scheitern.
Darum bleibt es vorläufig dabei: Jeder der 20 Kantone hat eine Standes-Stimme, die 6 Halbkantone je eine halbe. Für ein Ständemehr braucht es also mindestens 12 Standes-Stimmen.