Brexit-Gespräche drohen zu scheitern
Drei Wochen vor dem geplanten Austritt Grossbritanniens aus der EU drohen die Verhandlungen zwischen London und Brüssel zu scheitern.
Das Wichtigste in Kürze
- Merkel verlangt von Johnson Kompromiss zu Nordirland-Grenze.
Nach einem Telefonat von Premierminister Boris Johnson mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hiess es aus einer Londoner Regierungsquelle, eine Einigung sei «praktisch unmöglich». Merkel hatte demnach von Johnson Kompromissbereitschaft in der Nordirland-Frage verlangt. EU-Ratspräsident Donald Tusk warf Johnson «ein dummes Schwarzer-Peter-Spiel» vor. Irland kündigte Milliardenhilfen für den Fall eines chaotischen Brexit an.
Die Bundeskanzlerin forderte der Regierungsquelle zufolge, Johnson solle seinen Widerstand gegen einen Verbleib der britischen Provinz Nordirland in der EU-Zollunion aufgeben. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte, dass Merkel und Johnson am Morgen telefoniert hatten, verwies aber auf die Vertraulichkeit solcher Gespräche.
Bislang gibt es kein spruchreifes Brexit-Abkommen für den Austritt Grossbritanniens aus der EU. Brüssel verlangt bis Freitag einen Durchbruch, damit den Mitgliedstaaten vor dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober ein Rechtstext zur Beratung vorgelegt werden kann.
Kernforderung Londons in den in Brüssel geführten Gesprächen der Unterhändler ist, dass Nordirland nach dem Brexit in einer Zollunion mit Grossbritannien bleibt. Kontrollen im Warenhandel mit dem EU-Mitglied Irland sollen nach dem 31. Oktober nicht an der Grenze, sondern «dezentralisiert» über Online-Formulare und Überprüfungen auf Firmengeländen und entlang der Lieferkette erfolgen. Die EU zweifelt jedoch an der Umsetzbarkeit dieses Vorschlags.
«Wir sind weiterhin offen für den Abschluss eines fairen Brexit-Abkommens, aber wir brauchen eine britische Regierung, die bereit ist, mit der EU zusammenzuarbeiten, um dies zu erreichen», erklärte der irische Aussenminister Simon Coveney im Kurzbotschaftendienst Twitter.
Premier Johnson selbst rechnet einem Medienbericht zufolge mit einem Scheitern der Gespräche. In diesem Fall werde er trotz eines kürzlich verabschiedeten Gesetzes «alles Mögliche tun», um eine Verschiebung des Brexit zu verhindern, zitierte die Zeitschrift «The Spectator» am Montag eine Regierungsquelle.
EU-Ratspräsident Tusk warf Johnson am Dienstag vor, mit der Zukunft Europas zu spielen. «Es geht um die Zukunft Europas und Grossbritanniens», erklärte Tusk im Kurzbotschaftendienst Twitter. «Es geht nicht darum, ein dummes Schwarzer-Peter-Spiel zu gewinnen.» Johnson wolle anscheinend keinen Deal, keine Verlängerung und keinen Rücktrick vom Austritt. «Quo vadis?» (Wohin gehst du?), fragte der Ratspräsident rhetorisch.
Das britische Parlament hatte im September ein Gesetz verabschiedet, das Johnson daran hindern soll, einen EU-Austritt Grossbritanniens ohne Abkommen (No-Deal-Brexit) durchzusetzen. Wenn bis zum 19. Oktober kein Abkommen mit der EU vereinbart ist, muss der Premierminister gemäss dem Gesetz eine dreimonatige Verschiebung des EU-Austritts beantragen. Auf EU-Seite müssten die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 Mitgliedstaaten einhellig zustimmen.
An dieser Stelle will die britische Regierung der im «Spectator» zitierten Quelle zufolge offenbar ansetzen. Sie werde deutlich machen, dass Länder, die eine Verschiebung ablehnen, bei der künftigen Zusammenarbeit etwa in Sicherheitsfragen bevorzugt würden. Unterstützer müssten sich hingegen «hinten einreihen». Sollte es dennoch zu einer Verschiebung kommen, werde die Regierung nicht weiter mit der EU verhandeln.
Der irische Finanzminister Paschal Donohoe kündigte am Dienstag umfangreiche Wirtschaftshilfen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro an, um die Auswirkungen eines derzeit wahrscheinlichen No-Deal-Brexit auf die irische Wirtschaft abzumildern. Rund die Hälfte der Mittel würden zum Schutz von Schlüsselsektoren der irischen Wirtschaft wie der Landwirtschaft und dem Tourismus gebraucht, erklärte der Finanzminister.
Das britische Pfund stürzte am Dienstag ab. «Der letzte Schimmer der Hoffnung ist verschwunden», sagte Neil Wilson, Finanzexperte bei Markets.com.