In einer mit Spannung erwarteten Richtungsentscheidung hat die britische Labour-Partei ihren bisherigen Brexit-Sprecher Keir Starmer zum neuen Vorsitzenden gewählt.
Keir Starmer
Oppositionsführer Keir Starmer zweifelt daran, dass die Regierung einen Plan zur Eindämmung des Virus habe. - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Oppositionschef will Partei einen und in Corona-Krise mit Johnson zusammenarbeiten.
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Der zur Parteimitte zählende ehemalige Staatsanwalt siegte in einem Mitgliederentscheid über die Parteilinke Rebecca Long-Bailey, wie die Oppositionspartei am Samstag mitteilte. Der 57-Jährige tritt die Nachfolge von Jeremy Corbyn an, unter dem die Labour-Partei bei der Parlamentswahl im Dezember ihr schlechtestes Ergebnis seit 1935 eingefahren hatte.

In seiner Antrittsrede bezeichnete es Starmer als «die Ehre und das Privileg meines Lebens», Labour künftig zu führen. Er wolle die unter dem «Sozialisten» Corbyn tief gespaltene Partei wieder vereinen.

Zugleich versprach der neue Oppositionschef, in der derzeitigen Corona-Krise konstruktiv mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Er besprach dieses Thema auch in einem Telefonat mit Premierminister Boris Johnson, der ihm zur Wahl gratulierte. Dabei nahm Starmer eine Einladung zur nächsten Krisensitzung der Regierung zu der Pandemie an.

Johnson hatte zunächst zögerlich auf die Corona-Krise reagiert, inzwischen aber strikte Ausgangssperren verhängt. Zudem brachte er massive Hilfspakete für Unternehmen und Arbeitnehmer auf den Weg. Damit betreibt der konservative Regierungschef de facto derzeit traditionelle Labour-Politik, wodurch die Oppositionspartei weniger durch eigenes Profil sichtbar wird. Johnsons Popularitätswerte hingegen gingen deutlich nach oben.

Dessen ungeachtet schwor Starmer seine Anhänger auf neuen Siegeswillen ein. Zwar habe die Partei «einen Berg» zu erklimmen, räumte er angesichts der zuletzt desaströsen Lage bei Labour ein. «Aber wir werden ihn erklimmen.» Die Partei hatte bei der Wahl im Dezember nicht nur landesweit das schlechteste Ergebnis seit 1935 eingefahren, sondern auch viele ihrer traditionellen Hochburgen an die konservativen Tories verloren. Der 70-jährige Corbyn, der seit 2015 an der Parteispitze und für einen klar linken Kurs stand, kündigte daraufhin seinen Rückzug an.

Dem bisherigen Parteichef war unter anderem vorgeworfen worden, antisemitische Tendenzen in der Partei zumindest zu dulden, wenn nicht gar zu fördern. Dazu sagte Starmer nun: «Im Namen von Labour entschuldige ich mich.» Antisemitismus sei «ein Schandfleck auf unserer Partei.» Er wolle «dieses Gift von den Wurzeln her ausrotten». Mit dieser Entschuldigung vollzog der neue Parteichef einen klaren Bruch mit seinem Vorgänger.

Zudem macht Labour noch immer ihr Brexit-Schlingerkurs zu schaffen. Starmer als Pro-Europäer hatte die Brexit-Politik seiner Partei aktiv mitgestaltet. Er war ein entschiedener Verfechter eines zweiten Referendums. Mit dieser Forderung wollte die Parteiführung eigentlich die in der Brexit-Frage gespaltenen Lager einen. Sie trug aber mit zum Wahldesaster für Labour bei - trotzdem kürten die Mitglieder nun den bisherigen Brexit-Sprecher zu ihrem neuen Parteichef.

Für Starmer stimmten 56,2 Prozent der rund 500.000 an dem Entscheid teilnehmenden Mitglieder und Anhänger von Labour. Er setzte sich damit gegen die wirtschaftspolitische Sprecherin der Partei, Rebecca Long-Bailey, durch. Die Corbyn-Vertraute erhielt 27,6 Prozent der Stimmen. Sie war vom linken Parteiflügel unterstützt worden, weshalb die Entscheidung zwischen dem moderaten Starmer und der «Klassenkämpferin» Long-Bailey auch als Richtungsentscheidung für Labour angesehen wurde. Der dritten Bewerberin, der Unterhaus-Abgeordneten Lisa Nandy, waren von vornherein keine Siegeschancen eingeräumt worden. Sie landete bei 16,2 Prozent.

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