Russlands Krieg gegen die Ukraine: EU-Staaten ringen um Kurs
Mit dem Andauern des russischen Kriegs gegen die Ukraine wachsen die Spannungen zwischen den EU-Staaten über den weiteren Kurs der Europäischen Union. Bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Versailles bei Paris machten Länder wie Lettland am Donnerstag deutlich, dass sie die deutsche Ablehnung eines Stopps von Energieimporten aus Russland für nicht mehr tragbar halten.
Das Wichtigste in Kürze
- Zudem lagen die Meinungen darüber auseinander, wie mit dem Antrag der Ukraine auf einen EU-Betritt umgegangen werden soll.
Auch dabei stand Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Seite derjenigen EU-Staaten, die auf der Bremse stehen. Der SPD-Politiker sprach sich klar gegen die Möglichkeit aus, das normalerweise sehr langwierige Aufnahmeverfahren für die Ukraine zu beschleunigen.
Unter Druck stand Scholz beim Gipfel allerdings vor allem wegen seiner Ablehnung eines Einfuhrstopps für Öl, Gas und Kohle aus Russland. «Ich bin überzeugt, dass wir die Entscheidung treffen sollten, Energieimporte aus Russland zu stoppen, um (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin zum Verhandlungstisch zu bringen und den Krieg zu beenden», sagte der lettische Premierminister Krisjanis Karins.
Er stellte sich damit klar auf die Seite von Ländern wie Polen und Litauen, die sich bereits zuvor für einen solchen Schritt ausgesprochen hatten, um dem russischen Staat seine Haupteinnahmequelle zu nehmen und die weitere Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine zu erschweren. Laut Schätzungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel geben EU-Staaten zur Zeit täglich rund 420 Millionen Dollar (380 Millionen Euro) für russisches Gas aus, und knapp 400 Millionen Dollar (362 Millionen Euro) für Öl aus Russland. Das liegt vor allem daran, dass Länder wie Deutschland, Österreich und Ungarn erhebliche Teile ihres Energiebedarfs über Lieferungen aus Russland decken.
Scholz hatte dazu am Montag erklärt: «Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden.» In Versailles sagte er, man bedenke bei den Sanktionen sehr präzise, wie man die russische Regierung davon überzeugen könne, dass sie den Krieg beendet. Gleichzeitig gehe es darum sicherzustellen, dass die Auswirkungen in Europa «möglichst gering seien. »Diesen Kurs sollten wir auch weiter verfolgen«, sagte er.
Deutliche Spannungen zeigten sich beim Gipfel auch in der Diskussion über die Frage, wie mit dem ukrainischen Wunsch nach einer schnellen Aufnahme in die EU umgegangen werden soll. So erteilte der niederländische Premierminister Mark Rutte dem Anliegen eine klare Absage. «Einen beschleunigten Beitritt, so etwas gibt es nicht», sagte er. Sein luxemburgischer Amtskollege, Xavier Bettel, sagte, er sei kein Regelfetischist, aber es gebe Bedingungen für einen EU-Beitritt. Er verwies auf die Kopenhagener Kriterien. Diese beinhalten etwa Anforderungen an Demokratie, Wirtschaft und Rechtsstaat.
Bundeskanzler Scholz äusserte sich ähnlich. «Es ist ganz wichtig, dass wir die Dinge, die wir ja auch in der Vergangenheit beschlossen haben, weiter verfolgen», sagte er.
Länder wie Estland und Litauen warben hingegen für Zugeständnisse. Die estnische Premierministerin Kaja Kallas sagte der «Süddeutschen Zeitung», in ihren Augen gebe es die moralische Pflicht, «diesen Menschen ihren europäischen Traum möglich zu machen». Die Ukrainer kämpften nicht nur für die Ukraine, sondern im wahrsten Sinne des Wortes für Europa.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte angesichts des russischen Krieges gegen sein Land vergangene Woche die Mitgliedschaft in der EU beantragt. Der Beitritt zur EU ist allerdings ein langer und komplizierter Prozess.
Die Ukraine hofft auf Tempo. «Wir wollen keinen Freifahrtschein. Aber wir wollen, dass das in einem Eilverfahren geschieht, innerhalb von wenigen Jahren», sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, der Deutschen Presse-Agentur. Die EU und die Ukraine haben 2017 ein Assoziierungsabkommen geschlossen, um die politischen und wirtschaftlichen Bindungen zu vertiefen.
Als ein weiteres brisantes Thema beim zweitägigen Gipfel im Schloss von Versailles gilt der Umgang mit Auswirkungen des Krieges auf die wirtschaftliche Entwicklung in der EU. So hat Frankreich die Idee ins Spiel gebracht, wie schon in der Corona-Krise ein schuldenfinanziertes Unterstützungsprogramm zu beschliessen. Dieses könnte demnach helfen, die Folgen des aktuellen Energiepreisanstieges abzufedern, aber auch Investitionen in Verteidigungsprojekte fördern. Länder wie Deutschland und die Niederlande halten dies zum derzeitigen Zeitpunkt für nicht notwendig und verweisen darauf, dass erst einmal das 800 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfspaket aufgebraucht werden sollte.
Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi zeigte sich hingegen offen für den französischen Vorschlag. «Italien und Frankreich sind auch auf dieser Front vollständig auf einer Linie», sagte Draghi.