Ukraine-Krieg: Was bringt Selenskyjs «Friedensformel»?
Die nächste Gesprächsrunde zur «Friedensformel» im Ukraine-Krieg findet in der Schweiz statt: Wie erfolgversprechend ist die Idee? Ein Experte ordnet ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Wolodymyr Selenskyj kündet eine Fortsetzung der Friedensgespräche an – in der Schweiz.
- Ein Experte ist der Ansicht, dass wohl weder Russland noch China daran teilnehmen werden.
- Der Gipfel diene dazu, die pro-ukrainische Allianz zu stärken und ein Signal zu senden.
Am Sonntag sorgte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit einer Mitteilung für eine Überraschung: Auf der Plattform X (vormals Twitter) kündigte er eine Fortsetzung der Friedensgespräche im Ukraine-Krieg an.
En passant schrieb Selenskyj, er hoffe, dass Uruguay an der nächsten Runde der Gespräche über die «Friedensformel» teilnehmen werde: Diese würden in der Schweiz stattfinden, so die Mitteilung weiter.
In Zeiten allmählich bröckelnder Unterstützung im Ukraine-Krieg hatte Selenskyj Ende Oktober bereits zum dritten Mal zu einem Friedensgipfel geladen. In Malta hatten sich Topdiplomaten und Sicherheitsberater 90 unterschiedlicher Staaten aus allen Kontinenten getroffen – auch aus der Schweiz. Russland war nicht eingeladen und auch die Volksrepublik China nahm nicht an der Konferenz teil.
Bund unterstützt «Friedensformel»
Jetzt soll – wohl am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos – die vierte Ausgabe der Verhandlungen ausgetragen werden. Im Zentrum vergangener Konferenzen standen die Grundsätze der sogenannten «Friedensformel» und die Diskussion verschiedener Aspekte deren Umsetzung.
Dieser sogenannte «Zehn-Punkte-Friedensplan» wurde Ende 2022 von Wolodymyr Selenskyj lanciert und formuliert unterschiedliche Grundsätze für einen dauerhaften Frieden im Ukraine-Krieg.
Diese umfassen unter anderem Bestrafung von Aggression, Schutz des Lebens und Wiederherstellung der territorialen Integrität und Sicherheit der Ukraine. Der Bundesrat hielt in einer entsprechenden Medienmittelung fest, dass man die Initiative grundsätzlich begrüsse.
Friedensgipfel nur mit einer Kriegspartei?
Haben diese Verhandlungen also das Potenzial, im Ukraine-Krieg endlich für Frieden zu sorgen? Welche Staaten werden sich an den Verhandlungen beteiligen? Und wie zielführend ist der «Zehn-Punkte-Friedensplan» von Wolodymyr Selenskyj? Nau.ch hat bei einem Experten für internationale Beziehungen um eine Einschätzung gebeten.
Für Manfred Elsig von der Universität Bern steht fest: «Wenn der ‹Zehn-Punkte-Plan› der Ausgangspunkt der Verhandlungen ist, wird Russland erneut nicht teilnehmen.» Auch die Volksrepublik China würde eine Teilnahme auf dieser Basis nicht unterstützen. «China will sich hier nicht von vorneherein die Agenda diktieren lassen», erklärt der Experte.
Der «Zehn-Punkte-Friedensplan» von Selenskyj
Elsig erklärt, dass der «Zehn-Punkte-Friedensplan» aus Sicht der Ukraine durchaus Sinn ergebe. Gleichzeitig sei er in der aktuellen Situation kaum umsetzbar. Russland werde sich kaum bereit erklären, die annektierten Regionen und die Krim in absehbarer Zeit zu verlassen.
Die Geschichte habe gezeigt, dass Friedensverhandlungen meist erst stattfänden, wenn eines von zwei Szenarien eintreffe: Entweder beide Parteien sind zutiefst kriegsmüde, oder ein klarer Erfolg einer Seite zeichnet sich ab. Im ersten Fall komme es zu einer Verhandlung, im zweiten Fall wiederum diktierten die Gewinner einen Friedensvertrag.
Im Ukraine-Krieg zeichne sich hingegen ein «langer Konflikt ohne klaren Sieger» ab: «Die ersten Informationen nach Beginn der Gegenoffensive sahen für die Ukraine noch positiv aus.» Der gegenwärtige Stellungskrieg hingegen scheine ausser unzähligen Todesopfern und Verletzten keinerlei Veränderung der Situation herbeizuführen, so Elsig.
Schwindende Unterstützung im Ukraine-Krieg
Auf der Seite der Ukraine steige überdies die Kriegsmüdigkeit – vor allem aber schwinde die Unterstützung vonseiten der westlichen Verbündeten. Elsig betont, dass der Ukraine-Krieg massgeblich in Washington entschieden werde: «Wenn es zu einem Machtwechsel im Weissen Haus kommen sollte, wäre dies für die Wehrfähigkeit der Ukraine ein schwerer Schlag.»
Europa alleine könne die US-amerikanische Unterstützung schlicht nicht kompensieren: «Der Diktator Putin scheint einen langen Atem zu haben», so der Experte. Auch die westlichen Sanktionen hätten ihn nicht von seinem Grössenwahn und seinen Expansionslüsten abhalten können. Ferner habe er jegliche innenpolitische Opposition bereits im Keime erstickt.
Schliesslich ist der Vizedirektor des «World Trade Institute» der Universität Bern denn auch überzeugt: «Diese Gespräche dienen in erster Linie dazu, die pro-ukrainische Allianz zu stärken und ein Signal an Putin zu senden.»