Die USA werden aufgrund der russischen Bedrohung ab 2026 erneut Waffensysteme in Deutschland platzieren, welche bis weit nach Russland reichen.
Tomahawk
Eine Tomahawk-Rakete wird abgeschossen. (Archivbild) - keystone

Der entschlossenste Schritt des Nato-Gipfels von Washington ist nahezu geräuschlos – und doch sicherheitspolitisch ein Knall: Wegen der Bedrohung durch Russland werden die USA in Deutschland von 2026 an wieder Waffensysteme stationieren, die weit bis nach Russland reichen. Darunter sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk sein, die technisch gesehen auch nuklear bestückt sein können, Luftabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Hyperschallwaffen, die insgesamt weiter reichen sollen als bislang stationierte Landsysteme.

Diese «fortschrittlichen Fähigkeiten» würden das Engagement der USA für die Nato und ihren Beitrag zur gemeinsamen europäischen Abschreckung demonstrieren, teilten die USA und Deutschland am Rande des Gipfels in nur drei Sätzen mit.

Die Entscheidung erfolgt rund fünf Jahre nach der Auflösung des INF-Vertrags über ein Verbot landgestützter atomaren Mittelstreckenwaffen. Er war von den USA mit Rückendeckung der Nato-Partner gekündigt worden, weil Washington davon ausgeht, dass Russland das Abkommen mit einem Mittelstreckensystem namens SSC-8 (Russisch: 9M729) verletzt.

Russland und China reagieren erbost

Russland warf der Nato eine Eskalation vor. «Wir werden, ohne Nerven oder Emotionen zu zeigen, eine vor allem militärische Antwort darauf ausarbeiten», sagte Vizeaussenminister Sergej Rjabkow der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Nun soll die russische Atomdoktrin überarbeitet werden. Und China: Nach Kritik der Nato an der Rolle der asiatischen Grossmacht im Ukraine-Krieg kam aus Peking die Antwort, die Nato-Äusserungen seien voll von Kriegsrhetorik, Verleumdung und Provokationen.

Verstärkte Anzeichen der Blockbildung

Zum 75. Geburtstag der Nato ist der Kalte Krieg zurück: Das Bündnis verstärkt die militärische Absicherung Europas, weil die russische Führung um Präsident Wladimir Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht beenden will und Massnahmen der gegenseitigen Rüstungskontrolle aufgekündigt worden sind. Mehr noch: Die Anzeichen für eine neue Blockbildung verstärken sich, wobei die USA und Europa auf der einen Seite und Länder wie China, Russland, Nordkorea und der Iran auf der anderen Seite um Einfluss in der Welt ringen.

Bloss nicht schwächeln

Die Nato versucht dem Eindruck entgegenzuwirken, sie sei vom Ukraine-Krieg ermüdet und durch Differenzen untereinander geschwächt. Beim Gipfel in Washington wird hinter den Kulissen zwar grosser Unmut darüber geäussert, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban jüngst für eine unabgesprochene «Friedensmission» nach Moskau und Peking reiste. Nach Aussen hin wird die von der russischen Propagandamaschine genüsslich ausgeschlachtete Aktion allerdings als ungarische Privatsache und irrelevant abgetan.

Ähnlich läuft es mit den Diskussionen über die Amtstauglichkeit des um eine zweite Amtszeit kämpfenden US-Präsidenten Joe Biden. Andere Staats- und Regierungschefs wollen sich zu einem der weltweit am meisten diskutierten Politik-Themen öffentlich nicht äussern – geschweige denn, ihre Meinung dazu kundtun.

Scholz protestierte selbst mal gegen Mittelstrecken-Waffen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tritt in Washington betont selbstbewusst auf und macht klar, dass Deutschland auch in schwierigen Zeiten seiner Verantwortung als grösste Volkswirtschaft Europas nachkommen wolle.

«Deutschland ist das grösste Land in Europa innerhalb des Nato-Bündnisses. Daraus erwächst uns eine ganz besondere Verantwortung», sagt er. «Und das kann ich hier ganz klar und deutlich sagen: Wir werden, ich werde dieser Verantwortung gerecht werden.» Solche klare Töne sind eher selten von jemandem zu hören, der Deutschland am liebsten bescheiden als «Mittelmacht» verkauft.

Dass nun auf deutschem Boden wieder US-Waffen stationiert werden sollen, die Russland treffen können, ist für ihn aber nicht ohne Brisanz. Die Furcht, dass man dadurch selbst zum Ziel russischer Waffen werden könnte, ist in Deutschland einigermassen weit verbreitet. Scholz hatte Anfang der 80er Jahre selbst als junger Sozialdemokrat gegen den Nato-Doppelbeschluss protestiert, der unter anderem die Stationierung von Mittelstrecken-Raketen vom Typ Pershing II vorsah, die nach dem Ende des Kalten Krieges bis 1991 wieder abgezogen wurden.

Zur Frage, ob er nun wieder mit grösserem Widerstand gegen die Rückkehr solcher weitreichenden Waffen nach Deutschland rechne, sagt er nun: «Diese Entscheidung ist lange vorbereitet und für alle, die sich mit Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen, keine wirkliche Überraschung.» Und sie passe auch genau in die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung aus dem letzten Jahr, die öffentlich diskutiert worden sei.

US-Wahl birgt Ungewissheit

Die deutsche Innenpolitik stellt im Vergleich zur amerikanischen allerdings derzeit kein ernstzunehmendes Risiko für die Nato dar. In den Vereinigten Staaten steht im November die Präsidentschaftswahl an und die Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus ist ein realistisches Szenario. Dass Trump das Stationierungsvorhaben dann rückgängig macht, liegt zumindest im Bereich des Möglichen.

Der Republikaner hatte während seiner Amtszeit von 2017 bis 2021 eine Reduzierung der US-Militärpräsenz in Deutschland eingeleitet, die später von Biden gestoppt wurde. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine verstärkte der amtierende Präsident die US-Truppenpräsenz in Deutschland und Europa sogar wieder.

Biden versichert immer wieder, die Vereinigten Staaten stünden unumstösslich zu ihren Bündnispflichten in der Militärallianz und würden jeden Zentimeter von Nato-Territorium verteidigen. Trump hingegen wetterte in seiner ersten Amtszeit immer wieder über die seiner Ansicht nach zu niedrigen Verteidigungsausgaben von europäischen Alliierten und drohte zeitweise sogar mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis.

Im Wahlkampf sagte Trump, er wolle Nato-Ländern, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkämen, keinen amerikanischen Schutz mehr gewährleisten – und ermutige Russland geradezu, mit ihnen «zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen». Trumps Äusserungen lassen nicht darauf schliessen, dass er ein Interesse daran hat, sich stärker in der Nato und für die Abschreckung in Europa zu engagieren.

Doch vielleicht kann Trump der Stationierung weitreichender Waffensysteme in Deutschland doch etwas abgewinnen. Denn schliesslich ist der 78-Jährige auch jemand, der gerne die Muskeln spielen lässt. Für die Nato kann die Unberechenbarkeit Trumps sogar auch etwas Gutes haben – denn auch Putin weiss letztendlich nicht, was ihn bei weiteren Provokationen erwarten würde.

«Laufen alle auf Autopilot?»

Ob mit Trump oder ohne ihn: Die Aussichten für eine friedlichere Welt sind derzeit düster. Nach der Ankündigung der USA, in Deutschland weitreichende Raketenwaffen zu stationieren, prognostizierte der Nuklearwaffenexperten Hans Kristensen, dass Russland nun ebenfalls zusätzliche weitreichende Waffen stationieren werde. «Hat hier jemand einen Plan? Oder laufen alle auf Autopilot?», fragte er.

Scholz erklärte unterdessen, dass es aus seiner Sicht keine andere Wahl gibt, als die jetzt getroffene. «Wir wissen, dass es eine unglaubliche Aufrüstung in Russland gegeben hat, mit Waffen, die europäisches Territorium bedrohen», sagte er.

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