Harris oder Trump: Wie sind die Schlussplädoyers angekommen?
Die Präsidentschaftskandidaten hatten gestern ihren letzten grossen Auftritt. Die Medien sind sich in den Analysen (fast) einig.
Das Wichtigste in Kürze
- Gestern haben Donald Trump und Kamala Harris ihre grossen Schlussplädoyers gehalten.
- Bei den US-Medien lässt man sich darüber nur wenig auf die Äste hinaus.
- Es gibt aber Faktoren für Harris und für Trump – und einen Tagessieger.
Vorteil Kamala Harris: Sie hielt ihre letzte grosse Wahlkampfveranstaltung vor dem Weissen Haus ab. Das ergab einerseits schöne Bilder, diejenigen Zuschauer, die keinen Platz mehr fanden, verteilten sich auf der «National Mall». Dort stehen für die USA wichtige Gebäude und Denkmäler. Andererseits stand Harris fast genau am gleichen Ort, wo Donald Trump 2021 zum Marsch aufs Capitol aufrief, mit fatalen Konsequenzen.
Ex-Präsident Donald Trump hatte für sein Schlussplädoyer ausgerechnet Allentown im umkämpften Pennsylvania ausgesucht. Ausgerechnet, denn dort lebt eine sehr grosse Community von Latinos, insbesondere aus Puerto Rico. Also derjenigen Insel, die vom Trump-Team gerade aufs schwerste beleidigt worden war.
Doch was haben die beiden Kontrahenten nun aus ihrem letzten grossen Auftritt vor dem Wahltag gemacht? Die US-Medien geben sich in ihren Wertungen zurückhaltend. Doch allein die Themenauswahl lässt schon viel erahnen.
CNN: Es kommt drauf an, wen man fragt
Harris habe vieles richtig gemacht, so das Fazit bei CNN-Kommentatoren. Denn in dieser Phase seien die politischen Pläne sekundär. Hingegen zähle, wie sich die Bevölkerung fühle.
Kamala Harris habe allen in Erinnerung gerufen, wie man sich mit Donald Trump am 6. Januar 2021 fühlte – und wie man sich mit ihr fühlen werde.
Der republikanische Politstratege Brad Todd widersprach dieser positiven Botschaft allerdings. Die Harris-Kampagne wolle doch auch die Anhängerinnen und Anhänger von Nikki Haley ansprechen. Haley war in den republikanischen Vorwahlen als Antithese zu Trump angetreten, aber unterlag am Ende trotz grosser Anhängerschaft.
Für diese sei die Schlussveranstaltung vor dem Weissen Haus eine Art Weihnachten gewesen. Als Geschenk hätten sie lediglich neue Socken bekommen. Kamala Harris habe nichts Neues geliefert, nichts, was sie nicht schon bei ihrer Nominierung gesagt hätte.
Donald Trump: «hässliche Elemente» und politischer Aussenseiter
Für PBS, den öffentlich-rechtlichen US-Sender, war das eigentliche Trump-Finale die Veranstaltung zwei Tage zuvor: im Madison Square Garden in New York. Trumps laute Kundgebung sei von plumpen und rassistischen Beleidigungen geprägt gewesen. Das habe die hässlicheren Elemente seiner Koalition aufgezeigt.
Andere Teile der Veranstaltung hätten jedoch die Anziehungskraft des ehemaligen Geschäftsmanns unterstrichen: Jemand, der verspricht, die Wirtschaft und die Grenze in Ordnung zu bringen. Trump habe sich einmal mehr als politischer Aussenseiter präsentieren können, der sich – trotz Risiken – allen Konventionen widersetze.
Harris dagegen habe ein seriöses Setting gewählt. Sie habe an die Gefahr erinnert, die Trump für die amerikanische Demokratie darstelle. Und darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Gegner seinen persönlichen Interessen den Vorzug vor denen der Nation gebe.
Kamala Harris: Fokus auf die Gefahr durch Trump
Ähnliches fiel auch «Roll Call» auf, einem Polit-Magazin. Harris sei Trump an historischer Stelle hart angegangen. Für «Politico» stand die Location gar im Vordergrund, nicht die Botschaft.
Zwei Wochen lang habe sie den ehemaligen Präsidenten als «Faschisten» und Gefahr für die Nation angeprangert. Nun habe Harris den Kontrast zu Trump hervorgehoben. Sie beschrieb diesen als «labil», «rachsüchtig», «von Groll zerfressen» und «auf unkontrollierte Macht aus», fiel «Politico» auf.
Trump bleibt Trump
Zur Veranstaltung von Donald Trump in Allentown wählte «Politico» einen durchaus positiv anmutenden Titel: «Trump bleibt nach Gegenreaktionen wegen Puerto Rico standhaft.»
Doch war diese – für Trump eigentlich typische – Standhaftigkeit nicht etwa positiv gemeint. Denn zwei Tage nach den abschätzigen Bemerkungen über Puerto Rico habe man fast ausschliesslich darüber berichtet. Daneben sei die Berichterstattung über alles andere untergegangen.
Jetzt habe sich dem ehemaligen Präsidenten eine goldene Gelegenheit geboten, aufzuräumen. Insbesondere natürlich wegen der rund 500'000 Puerto-Ricaner in dieser Region. «Aber er liess es bleiben», so die etwas nüchterne Feststellung.
Der wahre Sieger des Tages
Dieser Darstellung würde wohl «Fox News» widersprechen. Bei Trumps Haussender macht man zwar Puerto Rico ebenfalls zum Thema. Denn da war durchaus was, wenn auch nicht von Trump direkt: Zoraida Buxo, die Schatten-Senatorin von Puerto Rico (sie hat im Senat kein Stimmrecht) trat neben Trump auf.
Diese habe Trump unterstützt und zu seiner Wahl aufgerufen: «Dale a Trump la fuerza de tu voto», zitiert «Fox News» auf Spanisch. Die Übersetzung wird natürlich nachgeliefert: «Gebt Trump die Kraft eurer Stimme».
Aber wer hat nun abgeliefert, wer war überzeugender? Weder Donald Trump noch Kamala Harris. Sondern einer, der auf Instagramm einen Video-Liebesbrief an die Insel Puerto Rico postete und darin fröhlich dem «Müll-Insel»-Kommentar entgegentrat. Das sei sogar als bedeutender wahrgenommen worden als die Harris-Unterstützung von Taylor Swift und Beyoncé.
Dafür ernannte «Politico» Benito Antonio Martínez Ocasio, a.k.a. Bad Bunny, zum Sieger des Tages. Er habe in einem entscheidenden Moment des Wahlkampfs eine bestimmte Gemeinschaft angesprochen.