Verhärtete Fronten im Streit um deutsche Atomkraftwerke
Die deutsche «Ampel»-Koalition streitet über den weiteren Kurs bei der Atomkraft. Die FDP macht Druck für einen längeren Weiterbetrieb der Atomkraftwerke als es Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant. Die Grünen warfen den Liberalen parteitaktische Gründe vor.
Das Wichtigste in Kürze
- Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner schlägt vor, alle drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke bis ins Jahr 2024 laufen zu lassen.
Zusätzlich müsse geprüft werden, wie viele der bereits abgeschalteten AKW sicher wieder in Betrieb genommen werden könnten, sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur.
«Bevor wir öffentliche Gelder einsetzen, müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Belastungen für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler tragbar zu machen», forderte er mit Blick auf die geplante milliardenschwere Gaspreisbremse. Dazu gehöre, auf alle verfügbaren Energiequellen zurückzugreifen.
Das Kabinett befasste sich entgegen der Planungen Habecks am Mittwoch nicht mit einem Entwurf seines Ressorts über einen Weiterbetrieb von zwei der drei Atomkraftwerke bis ins Frühjahr. Dieser sieht vor, das Atomgesetz und das Energiewirtschaftsgesetz um Regelungen zu ergänzen, welche die Rahmenbedingungen für eine zeitlich bis zum 15. April 2023 befristete «Einsatzreserve» der Atomkraftwerke Isar 2 (Bayern) und Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg) schaffen. Damit sollten - falls notwendig - «steuerbare Erzeugungskapazitäten» im deutschen Stromnetz gehalten werden.
«Wir sind im Kabinett damit noch nicht durch», sagte Lindner nach der Kabinettssitzung. Er sei in grosser Sorge, was die Energieversorgung angehe. «Ich finde, in dieser Krise müssen wir alle erkennen, was die Zeichen der Zeit sind.» Deutschland müsse alle Kapazitäten der Stromerzeugung am Netz haben.
Habeck hatte vor einer Woche gesagt, nach derzeitigem Stand gehe sein Ministerium davon aus, dass man die «Reserve» ziehen werde und die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim im ersten Quartal 2023 weiter am Netz sein werden. Sie sollten wie das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen im Zuge des deutschen Atomausstiegs eigentlich Ende 2022 vom Netz gehen.
Eine Sprecherin von Kanzler Olaf Scholz (SPD) verwies am Mittwoch darauf, dass sich Habeck mit den Betreibern der Atomkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg auf Eckpunkte zur Umsetzung der geplanten Einsatzreserve verständigt habe. Es gebe ausserdem eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Dort heisst es: «Am deutschen Atomausstieg halten wir fest.»
Ein Sprecher von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) verwies auf Aussagen der Ministerin. Lemke hatte gesagt, sie schliesse eine Laufzeitverlängerung über den kommenden Winter hinaus und die dafür erforderliche Neubeschaffung von Brennelementen aus.
Die letzten drei Atomkraftwerke tragen in diesem Jahr etwa sechs Prozent zur Stromerzeugung in Europas grösster Volkswirtschaft bei.