Viktor Orban will EU wieder «grossartig machen»
Der ungarische Premier Viktor Orban kündigt vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft an: Europa soll wieder grossartig werden.
«Make Europe Great Again» – mit diesem abgewandelten Wahlkampf-Slogan des amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump als Motto übernimmt Ungarn an diesem Montag die EU-Ratspräsidentschaft. Auf Deutsch bedeutet der Spruch so viel wie «Macht Europa wieder grossartig». Ist das Motto schon ein Hinweis darauf, was von der EU-Ratspräsidentschaft eines rechtspopulistischen Viktor Orban zu erwarten ist?
Der ungarische Ministerpräsident gilt als einer der grössten Störenfriede in der EU. Immer wieder gerät Orban mit anderen Mitgliedstaaten aneinander und blockiert wichtige Abstimmungen. So zuletzt vor allem bei der Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine.
Orban hat eigene Sichtweise auf ungarische Demokratie
Zudem wurde Ungarn erst kürzlich vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu einer Geldstrafe von 200 Millionen Euro verurteilt, weil Budapest das EU-Asylrecht missachtet hatte. Das stelle eine ganz neue und aussergewöhnlich schwere Verletzung von EU-Recht dar, hiess es. Der EuGH hat in früheren Urteilen bereits wesentliche Teile des ungarischen Asylsystems für rechtswidrig erklärt. Auch die Europäische Kommission wirft Ungarn seit Jahren vor, EU-Standards und Grundwerte zu missachten und fror deswegen schon Fördermittel in Milliardenhöhe für das Land ein.
Orban hingegen sieht sich unter anderem durch eine hohe Wahlbeteiligung in Ungarn bei der Europawahl in seinem Politikkurs bestätigt. «Das zeigt, dass es der ungarischen Demokratie auch gut geht, sie sagt vielen Dank, sie ist lebendig und blüht, es gibt konkurrierende Akteure, es gibt Interesse, es gibt Menschen, die eine Meinung haben, die sie äussern wollen, die sie zum Ausdruck bringen wollen, die das öffentliche Leben beeinflussen wollen», sagte er Mitte Juni dem ungarischen Fernsehsender M1.
Ungewohnte Rolle für Ungarn
Mit der Ratspräsidentschaft kommt Orban nun eine ungewohnte Rolle zu: Sein Land wird bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Staaten vermitteln und zahlreiche Ministertreffen leiten müssen. Zuletzt hatte Belgien diese Aufgabe – alle sechs Monate wechselt der EU-Ratsvorsitz zwischen den 27 Mitgliedstaaten. Bereits 2011 hatte Orbans Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft inne, ein Jahr nach dem Regierungsantritt des Rechtspopulisten. Damals begann Orban, mit einer Verfassungsänderung die Weichen für sein System zu stellen, das er 2014 «illiberale Demokratie» nannte. Es ist sein politisches Credo und Markenzeichen.
«Die Präsidentschaft bedeutet nicht, dass man der Chef von Europa ist. Die Präsidentschaft bedeutet, dass Sie derjenige sind, der den Kompromiss machen muss», gab der scheidende belgische Ministerpräsident Alexander De Croo seinem Budapester Kollegen zuletzt in Brüssel mit auf den Weg. In einer Position zu sein, in der man einen Kompromiss eingehen müsse, sei eine interessante Situation. «Ich kann es Herrn Orban auf jeden Fall empfehlen.»
Kaum neue Gesetzesinitiativen erwartet
Fragt man EU-Diplomaten, hält sich die Begeisterung über den ungarischen Ratsvorsitz zwar in Grenzen, doch eine grosse Gefahr für die EU sieht kaum jemand. Das liegt am Zeitpunkt: Zwar ist die Ratspräsidentschaft auch dafür verantwortlich, die Gesetzgebung der EU voranzutreiben. Allerdings müssen sich Parlament und Kommission kurz nach der Europawahl erst finden. Viele neue Gesetzesinitiativen sind daher in dieser Phase nicht zu erwarten.
Budapest kündigte bereits an, den Fokus auf die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU legen zu wollen. Ausserdem soll illegale Migration besser bekämpft werden – unter anderem durch Abkommen mit Drittstaaten.
Auch der FDP-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Moritz Körner, rechnet damit, dass Orban hinsichtlich der EU-Gesetzgebung «relativ wenig Unheil anrichten» kann. «Eingefrorene ungarische Gelder freigeben kann die Ratspräsidentschaft auch nicht», sagt er. «Medial und diplomatisch sind aber ungarische Alleingänge leider möglich, sowohl gegenüber (Russlands Präsidenten Wladimir) Putin als auch gegenüber Trump, die die EU in Verlegenheit bringen könnten.»
«Budapest entscheidet, worüber gesprochen wird»
Körner moniert zudem, dass es «an Peinlichkeit für die EU kaum zu überbieten» sei, dass Ungarn die Gespräche über Fragen der Rechtsstaatlichkeit im nächsten halben Jahr im Rat moderieren werde. Diesen Punkt sieht der grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund geradezu als «Ironie». Anders als andere EU-Staaten habe Ungarn das Thema Rechtsstaat nicht auf seine Prioritätenliste für die Ratspräsidentschaft gesetzt. Man habe es mit der «korruptesten Regierung in der EU» zu tun.
Freund bereitet vor allem Sorgen, dass Ungarn als Ratspräsident die Tagesordnungen aller Treffen bestimme. Budapest entscheide damit, worüber gesprochen wird und worüber nicht. Und dass Orban seinen Slogan für die Ratspräsidentschaft Trumps Losung nachempfunden habe, suggeriere unliebsame Parallelen. «Man kann erraten, auf welcher Seite er (Orban) steht», betont Freund.