Österreicher wählen nach «Ibiza-Skandal» ein neues Parlament
Vier Monate nach dem Auseinanderbrechen der Regierung haben die Österreicher ein neues Parlament gewählt.
Das Wichtigste in Kürze
- ÖVP-Chef Kurz hat gute Chancen auf erneute Kanzlerschaft.
6,4 Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag aufgerufen, die Abgeordneten des Nationalrats in Wien zu bestimmen. Umfragen zufolge könnte die konservative ÖVP von Ex-Kanzler Sebastian Kurz ihr Wahlergebnis von 2017 noch übertreffen und mit 33 bis 35 Prozent die meisten Sitze im Nationalrat gewinnen.
Für eine Mehrheit wird es jedoch voraussichtlich nicht reichen, weshalb mit monatelangen schwierigen Koalitionsverhandlungen zu rechnen ist. Die sozialdemokratische SPÖ und die rechtspopulistische FPÖ lagen in den Umfragen zuletzt fast gleichauf (22 und 20 Prozent). Beobachtern zufolge ist eine Neuauflage der Koalition von ÖVP und FPÖ nicht ausgeschlossen.
«Unser wichtigstes Wahlziel ist, dass es keine Mehrheit gegen uns gibt», sagte Kurz nach der Stimmabgabe in Wien. FPÖ-Chef Norbert Hofer sprach von einer «echten Herausforderung» für seine Partei, während SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner der österreichischen Nachrichtenagentur APA zufolge sagte, die Österreicher hätten es in der Hand, eine Fortsetzung der Koalition aus ÖVP und FPÖ zu verhindern.
Kurz' Regierung mit der FPÖ war nach nur 18 Monaten in Folge des «Ibiza-Skandals» Ende Mai vom Parlament per Misstrauensvotum gestürzt worden. Hintergrund war ein heimlich auf Ibiza gedrehtes Enthüllungsvideo, das zeigt, wie der inzwischen zurückgetretene Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vor der Parlamentswahl 2017 einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte im Gegenzug für Wahlkampfhilfe Staatsaufträge in Aussicht stellt.
Daraufhin platzte die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ und die Parlamentswahl wurde vorgezogen. Der neue FPÖ-Chef Hofer hat immer wieder betont, dass er in die Regierung zurückkehren will. Für die FPÖ gilt die Wahl auch als Stimmungstest nach dem Sturz ihres langjährigen Vorsitzenden Strache. Wenige Tage vor der Wahl kündigte die Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts der Veruntreuung von Parteigeldern an.
FPÖ-Chef Hofer sagte deshalb am Sonntag nach seiner Stimmabgabe im burgenländischen Pinkafeld auch, das Ibiza-Video und die Spesen-Affäre seien «natürlich eine Vorbelastung». «Aber ich bin es gewohnt, ein paar Steine im Rucksack mitzutragen», sagte Hofer APA zufolge. Sein Wunschergebnis sei «eine stabile Basis, damit die Regierungsarbeit fortgesetzt werden kann».
Anders als noch 2017 war für die Wähler nicht die Einwanderung das wichtigste Thema im Wahlkampf, sondern der Klimawandel. «Es ist eine wichtige Wahl für das Klima. Die früheren Regierungen haben viel zu wenig getan», sagte der 26-jährige Wähler Peter Litzlbauer der Nachrichtenagentur AFP am Sonntag.
Vor diesem Hintergrund dürften die Grünen, die 2017 noch an der Vier-Prozent-Hürde scheiterten, den grössten Stimmenzuwachs erfahren. Im Umfragen lagen sie zuletzt bei 13 Prozent. Kurz könnte deshalb versuchen, die Grünen und die liberalen Neos für eine Koalition zu gewinnen.
Eine weitere Option für den 33-Jährigen könnte ein Bündnis mit der sozialdemokratischen SPÖ sein, der Umfragen zufolge ein historischer Tiefstand von 22 Prozent droht. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben ÖVP und SPÖ insgesamt 44 Jahre zusammen regiert. Allerdings hatte Kurz, als er 2017 neuer ÖVP-Chef wurde, den Bruch der grossen Koalition herbeigeführt.
Vor der Wahl brachte Kurz auch die Idee einer Minderheitsregierung ins Spiel. Eine solche Konstellation könnte die politische Instabilität jedoch verschärfen und sogar zu weiteren Neuwahlen führen.
Mit ersten Hochrechnungen ist kurz nach Schliessung der Wahllokale um 17.00 Uhr zu rechnen. Das vorläufige Wahlergebnis soll zwischen 20.00 und 21.00 Uhr vorliegen. Die Briefwahlstimmen werden allerdings erst kommende Woche ausgezählt.