Weltklimakonferenz in Baku: Baerbock greift Gastgeber an
Klimahilfen in Billionenhöhe sorgen für Streitigkeiten auf der Weltklimakonferenz in Baku. Baerbock griff nun das Gastgeberland Aserbaidschan.
Die Weltklimakonferenz in Baku droht im Streit über zusätzliche Klimahilfen in Billionenhöhe zu scheitern. Nach rund 24 Stunden Verlängerung wurde die vielfach kritisierte chaotische Verhandlungsführung des Gastgebers Aserbaidschan deutlich sichtbar: Ganze Ländergruppen verliessen unter Protest den Verhandlungssaal und unabgestimmte Textentwürfe fanden ihren Weg in die Öffentlichkeit. Aussenministerin Annalena Baerbock griff die Präsidentschaft ungewöhnlich scharf an.
«Wir Europäer werden nicht zulassen, dass die verletzlichsten Staaten auf der Welt, insbesondere die kleinen Inselstaaten, von einigen der neuen fossilen und reichen Emittenten jetzt hier über den Tisch gezogen werden. Und das im Zweifel auch noch auch mit Rückendeckung der COP-Präsidentschaft», sagte die Grünen-Politikerin.
Baerbock bleibt trotz Gesundheitsproblemen vor Ort
Die gesundheitlich angeschlagene Ministerin blieb anders als zwischenzeitlich geplant doch vor Ort in Baku. Manche Länder «von Präsidentschaft ignoriert»
Man versuche Brücken zu bauen – vor allem zu den Inselstaaten und anderen Entwicklungsländern, sagte Baerbock. «Gerade auch, weil die Anliegen dieser Länder leider von der Präsidentschaft bisher ignoriert worden sind.»
Vertreter der Inselstaaten und der am wenigsten entwickelten Länder verliessen am Nachmittag aus Protest gegen die Präsidentschaft den Verhandlungssaal, weil diese nach ihren Worten in zirkulierenden Textentwürfen ihre Anliegen aussen vor liess.
Protestaktion: «Wir gehen buchstäblich unter»
Einigung? «Abgelehnt!», rief eine Verhandlerin. «Wir gehen buchstäblich unter»
Ein Sprecher der Inselstaaten fragte: «Wie könnt ihr von uns erwarten, dass wir zu den Frauen, Männern und Kindern in unseren Ländern mit einem Deal zurückkehren, der sie mit Sicherheit in weitere Gefahren stürzen wird?» Was hier geschehe, mache deutlich, dass Industrie- und Entwicklungsländer in unterschiedlichen Booten sässen.
Aktivisten riefen dem US-Klimabeauftragten John Podesta hinterher: «Schande! Zahlt den fairen Anteil!»
Kolumbiens Umweltministerin fordert Gehör
Die Umweltministerin Kolumbiens Susana Muhamad sagte: «Wir sind hier zum Verhandeln. Aber wir haben den Raum verlassen, denn im Moment haben wir nicht das Gefühl, dass wir gehört werden». Aus EU-Delegationskreisen hiess es, man gehe davon aus, dass die Verhandlungen noch weitergehen.
Baerbock warnte davor, im Ringen, um die Aufstockung von Klimahilfen zugunsten ärmerer Staaten, im Gegenzug Rückschritte bei Beschlüssen aus dem vergangenen Jahr zum Klimaschutz zu machen.
Klimahilfen und die Verringerung klimaschädlicher Emissionen «gehören aufs Engste zusammen», sagte Baerbock – denn «Money alone won't save the world» (Deutsch: «Geld allein wird die Welt nicht retten»), fügte sie auf Englisch hinzu.
Saudi-Arabien versucht, Klimaschutzbeschlüsse zurückzudrehen
Beobachtern zufolge hatte insbesondere Saudi-Arabien während der zweiwöchigen Verhandlungen gemeinsam mit einigen grossen autoritären Staaten versucht, schon gefasste Beschlüsse für den Klimaschutz zurückzudrehen.
Zur Forderung von Entwicklungsstaaten, jährlich Billionen US-Dollar an Klimahilfen zu mobilisieren, sagte Baerbock, dafür müssten jetzt alle grossen Emittenten von Treibhausgasen mit ins Boot – «vor allen Dingen auch die grossen und reichen neuen Emittenten». Schon zuvor hatte sie gefordert, dass etwa China, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten, die mit Öl, Gas und Kohle viel verdient haben, in den Geberkreis gehörten.
Auch eine unabhängige UN-Expertengruppe kommt zu dem Schluss, dass der Bedarf an externer Hilfe bei rund 1.000 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2030 liegt – und sogar 1.300 Milliarden bis 2035.
Zeit für eine Einigung läuft ab
Aus Verhandlungskreisen wurde indes deutlich, dass statt der 250 Milliarden US-Dollar, die zunächst als jährliche Klimahilfen vor allem von Industriestaaten an ärmere Länder vorgeschlagen wurden, nun 300 Milliarden Dollar im Raum stehen.
Für eine Einigung läuft die Zeit ab: Mindestens zwei Drittel der rund 200 Vertragsstaaten müssen für eine Entscheidung vor Ort sein. Das ist vor allem für die ärmeren Länder ein Problem, denn ihre Delegierten haben oft nicht das Geld, um Flüge und Hotels umzubuchen.
Gelingt keine Einigung, laufen die bislang beschlossenen Finanzhilfen von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr 2025 aus. Was danach passiert, würde auf Verhandlungen im kommenden Jahr vertagt. Konkret bedeutet das, dass viele Länder nicht genug Geld haben, um wirksam Klimaschutz auf die Beine zu stellen und sie sich auch nicht ausreichend anpassen können.