Atici und Thiriet weibeln mit bürgerlichen Themen – Urgese kontert
Der freisinnige Verbandsmitarbeiter muss sich im Wahlkampf gegen linke Unternehmer behaupten – und rechts die Reihen schliessen.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 3. März findet in Basel-Stadt die Regierungsrats-Ersatzwahl statt.
- Neben Mustafa Atici (SP) und Jérôme Thiriet (Grüne) kandidiert auch Luca Urgese (FDP).
- Der Bürgerliche sieht sich in Wirtschaftsfragen geeigneter als seine linken Konkurrenten.
Der eine ist Sozialdemokrat, der andere ein Grüner. Was Mustafa Atici und Jérôme Thiriet in ihrem Wahlkampf um die Nachfolge von Beat Jans in der Basler Regierung immer und immer wieder betonten, sind jedoch weder die Krankenkassenprämien noch das Klima.
Es ist ihre berufliche Selbstständigkeit. Atici ist Gastronom, Thiriet Inhaber eines Velokurier-Unternehmens.
Auch die Unterstützerinnen und Unterstützer der beiden Kandidaten spielen bei jeder Gelegenheit die Unternehmer-Karte aus.
An der Medienkonferenz zum Wahlauftakt des Sozialdemokraten sagt GLP-Grossrat Bülent Pekerman, Atici habe viele Leute ermutigt, den Weg der Selbstständigkeit einzuschlagen.
Er kenne die Probleme und Bedürfnisse der KMU bestens. Und die frühere SP-Ständerätin Anita Fetz bezeichnet es als «Lachnummer des neuen Jahres», dass der Basler Gewerbeverband den «Funktionär» Luca Urgese von der FDP zur Wahl empfehle und nicht Atici.
Die Grünen weisen ihrerseits an der Mitgliederversammlung Anfang Jahr anerkennend auf Thiriets KV-Abschluss hin. Im Unterschied zu den beiden anderen Kandidaten besitze er als einziger keinen Uni-Abschluss, heisst es.
Dabei streicht man gerne die Bedeutung der Berufsbildung hervor – ein Kernanliegen der Wirtschaftsverbände.
Stimmt wirtschaftsfreundlich ab
Abgesehen davon, dass Atici wie auch Thiriet tatsächlich erfolgreiche Unternehmer sind und auch deshalb wirtschaftsfreundlicher auftreten als manch andere in ihrer Partei, dürfte der Fokus auf Themen wie Selbstständigkeit und Berufsbildung wohl auch strategische Gründe haben.
Es wäre von Vorteil, am 3. März auch ausserhalb des rot-grünen Lagers Stimmen zu machen. Doch allein mit Klima- und Migrationsthemen gewinnt man keine bürgerlichen Wählerinnen und Wähler.
Auf Stimmenfang in fremden Gebieten – was löst das bei Luca Urgese aus, dem offiziell einzigen bürgerlichen Kandidaten für den freien Regierungssitz?
«Am Ende ist in der Politik das Abstimmungsverhalten entscheidend», sagt der Freisinnige trocken und verweist auf Themen wie Mindestlohn, 38-Stunden-Woche für Kantonsangestellte oder Stadtklima-Initiativen.
Urgese lehnte alle drei Anliegen ab. Thiriet stimmte indes im Grossen Rat für eine verkürzte Arbeitswoche und gehörte auch dem Pro-Komitee der Stadtklima-Initiativen an.
Atici, der Imbissbuden im Joggeli betreibt, vertrat im Abstimmungskampf um den Mindestlohn die Meinung, dass mit einem funktionierenden Geschäftskonzept Löhne von 23 Franken pro Stunde kein Problem seien.
Beim Rheintunnel geht Atici einen anderen Weg als seine Partei. Die SP, zuerst Befürworterin des Verkehrsprojekts, hat später die Seite gewechselt.
Der frühere Nationalrat unterstützt das Vorhaben dagegen nach wie vor, fordert aber gleichzeitig flankierende Massnahmen. Genau da liege der Unterschied zwischen ihm und den anderen Kandidaten, betont Urgese: «Ich setze mich konsequent und uneingeschränkt für unternehmerische Belange ein und habe eine gesamtheitliche Sicht auf die Wirtschaft.»
Urgese: «Bei Wirtschaftsthemen lieber das Original statt die Kopie wählen»
Urgese beantwortet die Fragen von «OnlineReports» im Rathaus-Café. Er trägt Anzug und Krawatte, wie immer, wenn der Grosse Rat tagt. Vor ihm auf dem Tisch liegt sein Tablet mit der eingeblendeten Traktandenliste.
Er müsse das Gespräch vielleicht unterbrechen, um abzustimmen, erklärt er. Der 37-Jährige gehört dem Kantonsparlament seit 2014 an und verpasst höchst selten eine Sitzung. Konzentriert, aber nicht angespannt, so erlebt man ihn in der Regel.
An diesem Mittwochmorgen macht Urgese aber einen leicht gestressten Eindruck. Der Wahlkampf ist bereits in vollem Gange – es finden mehrere Veranstaltungen pro Woche statt, manchmal auch mehrere pro Tag.
Dennoch ist er bemüht um sachliche Aussagen, spricht überlegt und rhetorisch treffsicher. Er sagt: «Wenn Wirtschaftsthemen im Wahlkampf tatsächlich so wichtig sind, dann lieber das Original statt die Kopie wählen.» Er lächelt zufrieden ob dem gelungenen Spruch.
Will im eigenen Lager mobilisieren
Urgese taut auf. «Ausserdem», betont er, «zeigt die Empfehlung der drei Basler Wirtschaftsverbände deutlich, wer der wirtschaftsfreundlichste Kandidat ist.»
Die Handelskammer beider Basel, für die er arbeitet, der Arbeitgeberverband Region Basel und der Gewerbeverband Basel-Stadt haben sich in einem gemeinsamen Communiqué für den FDP-Grossrat sowie den LDP-Erziehungsdirektor Conradin Cramer ausgesprochen, der ins Präsidialdepartement wechseln will. «Ich glaube, damit ist der Beweis erbracht», sagt Urgese.
Er wird neben der FDP auch von Mitte, LDP und SVP unterstützt. Zusammen kommen die vier bürgerlichen Parteien auf einen Wähleranteil von knapp 40 Prozent (Grossratswahlen 2020). Damit hat der Freisinnige zwar gute Chancen, im ersten Wahlgang auf Platz eins zu landen.
Im zweiten Wahlgang dürfte es aber eng werden, denn der Wähleranteil der SP und des Grünen Bündnisses beträgt zusammen 46 Prozent. Die links-grüne Wählerschaft gilt zudem als disziplinierter als die bürgerliche.
«Wir müssen das ideologische Muster brechen»
Auch aus diesem Grund will Urgese vor allem im eigenen Lager mobilisieren, dort die Lücken schliessen. Die Aussicht auf Erfolg könne dabei helfen, glaubt er.
Und Cramer als Wahlkampf-Partner verleiht einen zusätzlichen Schub. Für Urgese wäre günstig, würde der Liberale im ersten Wahlgang das absolute Mehr verpassen und ihm auch noch bis zum 7. April zur Seite stehen.
Natürlich würde er sich über linke Stimmen freuen, sagt Urgese. Sich deshalb als grün oder links zu geben, das kommt für ihn aber nicht infrage. Wohl auch, weil er die bürgerliche Wählerschaft an der Stange halten muss.
Stattdessen führt Urgese seine bisherige politische Arbeit als Argument an, weshalb er auch für ein Publikum links von der Mitte interessant sein könnte. «Ich bin kein Ideologe», sagt er.
Als Vizepräsident der Spezialkommission Klimaschutz habe er etwa dazu beigetragen, dass es ab 2035 keine Öl- und Gasheizungen mehr geben darf. Aber nur unter der Bedingung, dass betroffene Hauseigentümer entschädigt werden. «Klimaschutz ist ein unglaublich wichtiges Thema. Wir müssen aber das ideologische Muster brechen, um vorwärtszukommen.»
Bleibt sich politisch treu
Oder anders gesagt: Es brauche Kompromisse wie beim Steuerpaket 2023, das die Stimmbevölkerung deutlich angenommen hat. Das sei ein hartes Stück Parlaments-Arbeit gewesen.
Politisch bleibt sich Urgese treu. Persönlich? Ihm haftet der Ruf eines verkopften Menschen an. Stets kontrolliert, das Haar links gescheitelt, immer mit Hemd.
Anfangs rechtfertigte er sich – jetzt nicht mehr. «So bin ich», das muss reichen.
Manchmal widersetzt er sich dem Bild, das man von ihm hat. Macht Faxen auf Fotos bei öffentlichen Anlässen und schreibt in den sozialen Medien Kommentare wie «Wir hatten (offensichtlich) Spass.»
Die Klammer – ein Ausbruch. Ein klitzekleiner.
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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.