Barbara Keller (SP): Richtlinie für faire Löhne in Kultur zwingend
Barbara Keller (SP) erklärt im Interview, wieso die Stadt Bern für Kulturförderungsbeiträge nicht «branchenübliche», sondern gerechte Löhne vorschreiben soll.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine Motion soll die Bedingungen für eine Berner Kulturförderung klarer regeln.
- Die Förderung soll gerechte Arbeitsbedingungen gewährleisten.
- Barbara Keller (SP) erklärt im Interview mit Nau.ch die Hintergründe.
In der neuen Kulturbotschaft fordert die Stadt Bern von Kultureinrichtungen die Einhaltung «branchenüblicher Anstellungsbedingungen» für den Erhalt von Beiträgen. Stadträtinnen haben eine Motion eingereicht, da sie befürchten, dass «branchenübliche» Honorare auch schlecht bis gar nicht bezahlte Arbeit wie Praktika und Hospitanzen einschliessen könnten.
Eine der Politikerinnen hinter der Motion ist Barbara Keller (SP). Im Interview mit Nau.ch erklärt sie, wieso Kulturschaffende mehr Klarheit brauchen.
Nau.ch: Sehen Sie bei der Kulturförderung Handlungsbedarf? Weshalb?
Barbara Keller: Ich verstehe Kulturförderung sehr breit: Es geht um die Kultur der Gesellschaft, darum, diese zu ermöglichen und zu stärken. Der Zugang zur Kultur sollte für alle niederschwellig sein. Es geht darum, den Menschen dazu zu befähigen, über sich selbst nachzudenken, Vielfalt zu entdecken, sie kennenzulernen und umzusetzen – und nicht zuletzt geht es um Lebensfreude und Spass.
Die Kulturförderung soll dazu beitragen, dass die Kultur in der Stadt Bern nachhaltig und divers entsteht und das daraus entstandene Angebot auf breiter Ebene in die Gesellschaft einfliesst. Ich sehe durchaus Handlungsbedarf bei der Kulturförderung, und zwar in den fairen Arbeitsbedingungen und der sozialen Sicherheit. Dazu gehört auch, die kreativen Prozesse in der Förderung stärker zu berücksichtigen, um den Produktionsdruck auf Kulturschaffende zu entschärfen.
Nau.ch: Weshalb sind so viele Kulturbetriebe nicht selbsttragend und auf Fördergelder angewiesen?
Keller: Es geht bei Kulturförderung um weitaus mehr, als Institutionen, Veranstaltungen oder künstlerische Disziplinen zu fördern. Es geht um eine grössere Aufgabe in der Gesellschaft. Kultur erleben, an Kultur teilhaben und Kultur geniessen sind wichtige – gesellschaftlich und sozial notwendige – Aspekte eines lebendigen städtischen Lebens.
Kultur kann und soll deshalb nicht immer selbsttragend sein und quantifiziert werden: Immer mehr Ausstellungen, immer mehr Veranstaltungen, immer mehr Produktionen; und das alles, um mehr Publikum anzulocken – dies wäre aus meiner Sicht ein völlig falscher Ansatz. Kulturelle Angebote sollten aufgrund ihrer Wirkung bewertet werden. Es braucht Wirkungsziele, damit eine visionäre Kulturpolitik neue Spiel- und Freiräume ermöglicht. Nur so lassen sich Themen wie Inklusion, Partizipation, hochwertige Bildung, Diversität oder Klimaschutz in kulturelles Schaffen integrieren.
Ziel der Kulturförderung soll also nicht die Leistung per se sein, sondern was die Leistung bewirkt und wie gesellschaftlicher Wandel mitgestaltet werden kann.
Nau.ch: In der Motion ist von schlecht bis gar nicht bezahlter Arbeit die Rede. Sehen Sie auch im Einsatz ehrenamtlicher Arbeit ein Problem?
Keller: Viele Kulturschaffende arbeiten unter selbstausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Die Erarbeitung und Durchsetzung von Richtlinien für gerechte Entlöhnung sind aus unserer Sicht zwingend. Hierzu habe ich mit Eva Chen von der Alternativen Linken und Ursina Anderegg vom Grünen Bündnis auch eine entsprechende Motion eingereicht, die an der kommenden Stadtratssitzung behandelt und hoffentlich angenommen wird. Ebenso wichtig sind eine geregelte Sozialversicherung oder «Fair Practice Codes».
Es wird vermutet, dass viele Kulturbetriebe nur dank tiefer Löhne und Freiwilligenarbeit überleben, dass die Lohnschere innerhalb der Institutionen, aber auch einzelner Berufsgattungen beachtlich ist und dass im Kulturbetrieb zeitgleich Löhne an oder unter dem Existenzminimum wie auch Löhne in fraglichen Höhen ausbezahlt werden. Vor diesem Hintergrund sind die Institutionen gefordert: Es sollten möglichst transparente Lohnstrukturen und Gagenentrichtungen umgesetzt werden.
«Diskussion führen müssen, ob es eine Erhöhung der direkten Kulturförderung braucht»
Nau.ch: Wenn die Kulturschaffenden bei gleichbleibendem Budget höhere Löhne erhalten, sinkt dadurch nicht die Anzahl der Personen, die von der Förderung profitieren?
Keller: Natürlich kostet die Förderung der sozialen Sicherheit von Kulturschaffenden etwas. Das ist aber auch richtig so. Kunst zu schaffen unterliegt den gleichen Anforderungen wie jede andere Erwerbsarbeit. Der Gemeinderat hat bereits angekündigt, dass «künftig nur Projekte gefördert werden, die branchenübliche Honorare und Sozialversicherungsbeiträge budgetieren».
Aber ja, hier entsteht tatsächlich ein Zielkonflikt: Kann kulturelle Vielfalt wirklich gefördert werden, wenn – wie in der Kulturbotschaft 2024–2027 bereits angekündigt wird – zukünftig weniger Projekte Unterstützung erhalten? Wir werden die Diskussion führen müssen, ob es eine Erhöhung der direkten Kulturförderung braucht, um den Schwerpunkten der Kulturbotschaft in den kommenden Jahren Nachdruck zu verleihen.
«Kulturschaffende brauchen faire Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit»
Nau.ch: Geraten dadurch nicht gerade die Schwächsten noch mehr in finanzielle Schwierigkeiten?
Keller: In Bern verdienen geschätzt 5000 professionelle Kunst- und Kulturschaffende in und um rund 50 Kulturbetriebe ihren Lebensunterhalt. Allerdings leben trotz öffentlicher Kulturförderung viele Kulturschaffende in sozial prekären Verhältnissen, was sich nicht nur auf ihre eigene Lebensgestaltung auswirkt, sondern auch gesamtgesellschaftliche Folgen hat. Kunst und Kultur sind essenziell für eine freie, demokratische Gesellschaft und den sozialen Zusammenhalt. Sie sind Antrieb zur individuellen und kollektiven Selbstreflexion und wesentliche Spielfelder für diese, öffnen Räume des Denkens und der Differenz.
Aus unserer Sicht ist klar, Kulturschaffende brauchen faire Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit, damit sie eben nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Zur Person: Barbara Keller (30) ist Fraktionspräsidentin der SP/JUSO-Fraktion im Berner Stadtrat und Präsidentin der Kommission für Soziales, Bildung und Kultur.
Beruflich setzt sie sich bei Caritas Bern als Leiterin Kommunikation, Fundraising und Support gegen Armut im Kanton Bern ein.