Longchamp vor Wahlen: «Wer in Zürich gewinnt, gewinnt auch national»
Im Kanton Zürich werden Regierung und Parlament am 12. Februar neu gewählt. Politologe Claude Longchamp spricht über die Wahlchancen der Kandidierenden.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 12. Februar wählen Zürcherinnen und Zürcher ihre Regierung und ihr Parlament neu.
- Politologe Claude Longchamp teilt seine Prognosen und Einschätzungen mit Nau.ch.
- Im Regierungsrat wird sich wahrscheinlich nicht viel ändern, so der Experte.
Mario Fehr (ehemalig SP) kommt locker wieder in den Zürcher Regierungsrat: Das sagen sowohl Politologe Claude Longchamp im Gespräch mit Nau.ch als auch die neuste Umfrage von Tamedia und dem Forschungsinstitut Sotomo.
Normalerweise kenne man erfolgreiche Exekutivpolitiker ohne Parteizugehörigkeit vom Land, so Longchamp. In einem hochurbanen Kanton wie Zürich sei die wahrscheinliche Wahl Fehrs aus einem Bruch hervorgegangen: «Es hat ihm überhaupt nicht geschadet, seine Partei zu verlassen. Ein breites Spektrum an Leuten wird ihn unterstützen, selbst im rot-grünen Lager.»
Zusätzlich habe noch keiner der Regierungsratsmitglieder das informelle Maximum von vier vollen Legislaturen gedient, sagt Longchamp. Und niemand trete zurück. Also spreche viel dafür, dass die «klar gesetzten Favoriten» gewählt würden.
Bisherige Regierungsratsmitglieder haben klaren Vorteil
Allgemein spiele der «Bisherigen-Bonus» an diesen Wahlen eine grosse Rolle. Neuen Kandidierenden wie Benno Scherrer (GLP) und Peter Grünenfelder (FDP) werden ohne Rücktritte geringe Wahlchancen zugesprochen. Einzig die Skandalisierung um Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) könnte den Vorteil einer bisherigen Regierungsrätin eventuell aufheben. «Aber sie wird wiedergewählt», ist sich Longchamp sicher.
Dem Bisherigen-Bonus von Regierungsrätin Silvia Steiner (Mitte) könnte die Kritik während der Covid-Pandemie geschadet haben: «Aber es könnte auch mitentscheidend werden» für ihre Wahl, so Longchamp. Andererseits verfüge die Mitte-Partei über die kleinste «Hausmacht», was den Personeneffekt verstärke. «Das könnte bei ihr tatsächlich schwierig werden», schlussfolgert der Experte.
Ein wenig anders sieht es bei der SPlerin Priska Seiler Graf aus. Sie ist die grösste Konkurrenz für Silvia Steiner, wenn man der Umfrage von Tamedia glaubt. Seiler Graf könnte den siebten Platz der Wählenden ergattern, meint auch Claude Longchamp. Aber sie müsste das absolute Mehr ebenfalls erreichen.
Schafft das die als Kampfjet-Gegnerin bekannte Nationalrätin, so wäre das durchaus «eine Verschiebung»: «Die SP könnte sich rein halten, trotz Verlust von Mario Fehr.» Schaffen aber weder Seiler Graf noch Steiner im ersten Wahlgang das absolute Mehr, so kommt es zum zweiten Wahlgang. Dann würde im eher bürgerlich geprägten Kanton Zürich die amtende Erziehungsdirektorin gewinnen, prognostiziert Longchamp.
«Wer in Zürich gewinnt, gewinnt auch national»
Punkto Kantonsrat fungierten die Wahlen als Vorgeschmack für die nationalen Wahlen. Zwar nicht unbedingt die Stärke der Veränderung an der parteipolitischen Zusammensetzung, aber die Richtung, sagt der Politologe: «Jene, die im Kanton Zürich klar zulegen oder klar verlieren, können damit rechnen, dass sie national denselben Trend erleben.»
Im Moment würden diese Veränderungen eher als gering eingeschätzt – mit Ausnahme der GLP und der SP. Gerade für diese zwei Parteien seien die Kantonsratswahlen «einen Fingerzeig für das, was im Herbst geschehen könnte». Allerdings profitierten Polparteien an nationalen Wahlen eher von einer stärkeren Thematisierung «politisch gegensätzlicher Themen».
Solche Themen könnten gemäss Claude Longchamp etwa der Klimawandel sein, aufgrund der möglichen Sommerhitze. Aber auch der Ukraine-Krieg und dessen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen könnten den Diskurs dominieren: «Wir sind sensibilisiert auf die Teuerung bei den Lebenshaltungskosten und bei der Lohnentwicklung, die im Herbst eine Rolle spielen wird.»