Politisch korrekte Sprache hält an Schulen Einzug
Statt von «verhaltensauffälligen» oder gar «schwierigen» Kindern, spricht man an vielen Schulen nun vorzugsweise von solchen mit einem «originellen Verhalten».
Das Wichtigste in Kürze
- Statt «verhaltensauffällig» oder gar «schwierig», sagen Lehrer neu «verhaltensoriginell».
- Darin zeige sich das Bemühen der Gesellschaft, Diskriminierung zu vermeiden, erklärt die Expertin.
- Doch die Sprache alleine zu verändern reiche nicht. Oft färbe negative Wahrnehmung nämlich auf den neuen Begriff ab.
Felix* besucht eine Berner Primarschule. Er ist ein ruhiges Kind. Von einigen seiner Klassenkameraden kann man das dagegen nicht behaupten. Wenn die Energie sich in ihnen staut, stören sie im Unterricht, haben Mühe, dem Stoff zu folgen – «verhaltensauffällig», hätte man dazu einst gesagt. Heute nicht mehr. Heute heisst das «originelles Verhalten».
«Dieser Wandel der Bezeichnung zeigt das Bemühen, Diskriminierungen zu vermeiden», erklärt Diana Sahrai, Professorin für Soziales Lernen unter erschwerten Bedingungen an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Aber warum? Warum war das Kind einst «schwierig», dann «verhaltensauffällig» und mittlerweile «verhaltensoriginell»?
«Schönreden reicht nicht»
«Dieser Wandel der Bezeichnung zeigt das Bemühen der Gesellschaft, niemanden zu diskriminieren», erklärt Sahrai. Zeigt das Bemühen Wirkung? Die Professorin schüttelt den Kopf. «Allein über den Sprachgebrauch schafft man Diskriminierung leider nicht ab. Auch wenn ein politisch korrekter Sprachgebrauch eine notwendige Bedingung für die Vermeidung von Diskriminierungen ist.»
Das zeige das Beispiel «Neger»: Das Wort kommt niemandem mehr ohne schlechtes Gewissen über die Lippen, dennoch zeigt die Statistik beispielsweise für Afroamerikaner schlechtere Perspektiven und Chancen, als für weisse Amerikaner. «Schönreden alleine löst also das Problem nicht», resümiert Sahrai.
Was helfe, seien veränderte Strukturen, veränderte Praktiken und eine offenere Kultur. Im Falle der Kinder mit optimistischem Verhalten beispielsweise wäre es sinnvoller, «Unterricht so zu gestalten, dass er stärker den Bedürfnissen der Kinder entspricht». Die Kinder also mal stehen, statt 45 Minuten sitzen, zu lassen. Oder eine Pause einlegen, wo die Schulglocke sie nicht ankündigt.
Das ist aber «weibisch»
Wie schnell ein Begriff von einer neutralen zu einer negativen Bedeutung kommt, zeigt die Geschichte. Das beste Beispiel: «Weib», und vor allem «weibisch» steht bis heute für ein schwaches, weinerliches Verhalten. Sahrai erklärt: «Weil Frauen noch bis zum letzten Jahrhundert nicht als gleichberechtigt und gleichwertig gegenüber Männern angesehen wurden, hat der Begriff im Laufe der Geschichte eine zunehmend negative Bedeutung bekommen.»
Manchmal wird ein Wort auch nur in einer bestimmten Gruppe zum Schimpfwort. «In der Jugendsprache ist «du Opfer» eine Beleidigung, obwohl ein Opfer normalerweise jemand beschützenswertes ist. Doch die Jungen deuten das in «schwach» um.»
Und weil «bist du behindert?» als minderwertigen Ausruf Eingang in die Alltags-Sprache fand, sprechen wir heute von «Menschen mit Behinderung» und nicht von «behinderten Menschen».
Werde nur die Bezeichnung verändert, während die Strukturen und die alten Anerkennungsverhältisse bleiben, «wird auch der neue Begriff sehr schnell negativ gefärbt», so Sahrai.
*Name geändert