Regisseur Serebrennikow lotet die Abgründe des Eduard Limonov aus
Das Werk «Limonov: The Ballad» des russischen Filmemachers Kirill Serebrennikow läuft heute an den 60. Solothurner Filmtagen.
Das Biopic «Limonov: The Ballad» ist zu empfehlen. Der Film dreht sich um die russische Kultfigur Eduard Limonov (1943-2020), die vom Punk zum Faschisten wurde. Das Werk des russischen Filmemachers Kirill Serebrennikow läuft heute an den 60. Solothurner Filmtagen.
Der Film beginnt als Eduard Sawenko (Ben Whishaw) in Paris lebt. Die 1980er Jahre haben aus dem einstigen Fabrikarbeiter, Tellerwäscher, Butler und Punkpoeten einen adrett gekleideten Romancier gemacht. Er gibt sich lässig, aber mysteriös, und er korrigiert streng, wer seinen selbst gewählten Nachnamen Limonov falsch ausspricht.
In der Mitte seines Lebens angelangt, blickt der Schriftsteller auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Die wichtigsten Stationen werden in der Einstiegsszene, einer Interviewsituation, von einem Journalisten zusammengefasst.
Limonov kam in der ukrainischen Region Donezk zur Welt, verbrachte die 1950er- und 60er-Jahre in Charkiv und war später in Moskau. 1974 verliess er die Sowjetunion nach einigen Rebellenakten nicht ganz freiwillig und begann in New York ein neues Leben. Einen Schriftsteller müsse man aus seiner Heimat werfen, damit er gedeihen könne, romantisiert er das Exil im Film. Aber da war eben noch viel mehr.
Rückblenden zeigen, wie schon der junge, damals linksradikale Limonov durch seinen Hochmut auffiel. Er trat Regeln mit Füssen, schrieb brutale Gedichte und war jähzornig. Limonov verkehrte in Kunstkreisen, wo er sich stets allen überlegen fühlte. Und als er um die Liebe von Elena (Viktoria Miroshnichenko) buhlte, zeigte er seine physisch aggressive Seite. Dass er im Fokus des Geheimdiensts KGB stand: irgendwie klar.
Limonov provoziert aus Leidenschaft
Der Film hat kaum angefangen, schon ist einem unwohl. Gleichzeitig – das hat schon die Drehbuchvorlage, die 2011 erschienene Romanbiografie «Limonow» des Franzosen Emmanuel Carrère, gezeigt – zieht die Hauptperson in ihren Bann. Limonov provoziert aus Leidenschaft, erst als Punk, später als Anführer der Nationalbolschewiken und Gegner von Putin – und plötzlich als dessen Verehrer.
Limonovs politisches Engagement, das ihn regelmässig ins Gefängnis brachte, steht im Film nicht im Vordergrund. Es geht viel mehr um seine Jobs, Sex und andere persönliche Eskapaden. Doch der Einblick reicht aus, um das Interesse zu wecken, diesen Menschen, der nicht einmal in seiner politischen Gesinnung stabil war, wenigstens im Ansatz zu ergründen.
Vielleicht ist die Faszination für das Abgründige die Erklärung dafür, dass «Limonov: The Ballad» zu empfehlen ist. Ganz sicher ist es die berauschende Inszenierung Serebrennikovs. Der Film-, Opern und Theaterregisseur mischt dokumentarische Ausschnitte mit Tanzperformances und Szenen wie in einem Musikvideo. Damit stellt er die Kunst einer höchst abstossenden Biografie entgegen. Und zeigt, wie Kunst hilft, die Schrecken der Welt auszuhalten.*
*Dieser Text von Miriam Margani, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.