Der Leader und die Angst vor dem Versagen
Shane Lowry hält plötzlich den Claret Jug, die Rotweinkanne, den symbolischen Preis für den Champion des British Open, in den Händen. «Shane Lowry» wird darauf stehen, wie die Namen von Legenden.
Das Wichtigste in Kürze
- Für jeden Iren oder Nordiren ist das British Open ein grosser Teil des Lebensinhalts.
Das wichtigste Ereignis Jahr für Jahr.
Am ältesten Golfturnier musste Shane Lowry schwer leiden. Von 2015 bis 2018 schied er jeweils nach der zweiten Runde aus, ohne Preisgeld, ohne Ruhm. Am Sonntag sagte er, er habe nach jedem Scheitern weinen müssen, besonders bitterlich im letzten Jahr nach dem «Open» im schottischen Carnoustie. «Jetzt kann ich nicht glauben, dass er mir gehört.» Er meinte den legendären Claret Jug auf dem Namen von Legenden wie Harry Vardon, Bobby Jones, Jack Nicklaus und Tiger Woods eingraviert sind.
Aus Lowrys Worten an der Medienkonferenz wurde klar, wie sehr ein Aussenseiter leiden muss, bevor er eines der vier grossen Golfturniere gewinnen kann. Lowry ging mit vier Schlägen Vorsprung in die Schlussrunde. Am Morgen sagte er zu seinem Caddie Bo Martin: «Ich bin nervös, ich fürchte mich.» Er habe Angst davor, dass er total versagen werde vor den Zehntausenden von Zuschauern, die sich nichts mehr wünschen, als einen Iren als Sieger feiern zu können. Die letzten 18 Löcher sind für einen Siegesanwärter an einem Majorturnier die schwerste Prüfung überhaupt, erst recht dann, wenn er klar führt und dadurch höchstens noch verlieren kann.
In heftigem Wind und zeitweise starkem Regen meisterte der 32-jährige Shane Lowry, der vorher in den USA und in Europa vier herkömmliche Profiturniere gewonnen hatte, die Aufgabe mit Bravour. Er hielt alle Verfolger, die mit der Zeit keine richtigen Verfolger mehr waren, auf sicherer Distanz. Mit 197 Schlägen (16 unter Par) hatte er einen British-Open-Rekord über drei Runden aufgestellt - immerhin an einem Turnier, das seit 1860 ausgetragen wird. Wäre das Wetter in der Schlussrunde einigermassen gnädig geblieben, hätte er auch Tiger Woods' Majorturnier-Rekord über vier Runden (19 unter Par) attackieren können.
Die Golfprofis von der irischen Insel, ob Iren oder Nordiren, sehen sich als Gruppe. Sie sind füreinander da, und sie feiern zusammen. Irland und und Nordirland zählen in der Summe nur 6,6 Millionen Menschen. Die kleine Gemeinschaft hat in den letzten zwölf Jahren zehn Siege an den grossen Turnieren auf sich vereinigt. Der Ire Padraig Harrington machte den Anfang mit den Siegen am British Open 2007 und 2008 sowie an der US PGA Championship 2008. Es folgte die Zeit der Nordiren: Der Superstar Rory McIlroy errang vier Majortitel, Graeme McDowell und Darren Clarke je einen. Jetzt hat Shane Lowry nachgezogen.