Flick vollendet sein Bayern-Werk - Auch 9. Titel gibt «Kick»
Hansi Flick begiesst seinen Münchner Abschiedstitel mit Schampus. Der Meistertag liefert grosse Momente. Vorm Anpfiff wird in der Kabine gejubelt, auf dem Rasen gibt's eine Sechs-Tore-Gala.
Das Wichtigste in Kürze
- Natürlich war es ein Scherz, als Hansi Flick den aussergewöhnlichen Meistertag des FC Bayern mit einer Trainingsansage für den nächsten Morgen beschloss.
Am sonnigen Muttertag tat sich auf den Rasenplätzen an der Säbener Strasse selbstverständlich nichts.
Der menschelnde und harmoniebedürftige Fussball-Trainer Flick hatte sich diesen Spass nach der berauschenden 6:0 (4:0)-Gala gegen Borussia Mönchengladbach einfach mal gegönnt. Als Torjäger Robert Lewandowski nach seinen Saisontoren 37, 38 und 39 gemeinsam mit den Teamkollegen in der Kabine in den gleich gereichten roten Shirts mit der grossen «9» die neunte Meisterschaft am Stück feierte, stiess Flick in seiner Trainer-Kabine mit Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge und einem Gläschen Schampus auf seinen Münchner Abschiedstitel an.
«Dieses Jahr war es leider nur die Meisterschaft», sinnierte Flick kurz vor dem Ende einer «tollen Zeit», die auf seinen Wunsch hin vorzeitig endet: «Wir haben sieben Titel geholt. Da kann man schon mal sagen: 'Okay, jetzt ist es gut.'» Der 56-Jährige rühmte seine Mannschaft, die ihm jederzeit einen «Genuss» bereitet habe, für eine aussergewöhnliche Leistung nach dem Triple-Triumph 2020: «Wir haben kaum Urlaub gehabt», erinnerte Flick. Corona war allgegenwärtig.
Und wäre dieses ewig hungrige Team in der Champions League gegen Paris Saint-Germain ausgeschieden, wenn Lewandowski fit gewesen wäre? «Gerade in einer wichtigen Phase haben wichtige Spieler gefehlt», haderte Flick. Aber nur kurz, es war ja ein Tag der Freude.
Das Stadion hätte in normalen Zeiten gebebt. Aber Flick konnte auch seinen siebten Titel als Bayern-Chefcoach nicht vor vollen Rängen zelebrieren. 75 000 Fans hätten ihm gehuldigt und einen Heidenspass gehabt. Zur 31. Meisterschaft konnten sich die Bayern-Profis schon vor dem Anpfiff beglückwünschen. Im Umkleidetrakt verfolgten sie die Leipziger 2:3-Niederlage in Dortmund am TV. Der Titel war damit fix, aber das bremste diese Bayern-Generation nicht in ihrem Ehrgeiz gegen wehrlose Gladbacher. «Wir haben nochmal demonstriert, dass wir die wahre Nummer eins in Deutschland sind», tönte Kapitän Manuel Neuer.
Dreierpacker Lewandowski, Thomas Müller, Kingsley Coman und Leroy Sané sorgten für ein Torfest. «Das Spiel war eines Meisters würdig», schwärmte Flick. Lewandowski hat gegen Freiburg und Augsburg zwei Chancen, den legendären 40-Tore-Rekord von Gerd Müller zu knacken. «Es hilft nicht, wenn du es zu sehr willst», sagte der Pole. Jeder aber konnte ihm zuvor auf dem Platz ansehen, wie sehr er es will.
Diese nie versiegende Gier nach Toren, Siegen und Titeln, diese Gewinner-Mentalität macht das von Flick angeleitete Starensemble um die Anführer Neuer, Lewandowski und Müller zum nationalen Dominator. «Dieses Gefühl des Gewinnens, des Besserseins als der Gegner, das gibt dir den Kick», bemerkte Müller, mit zehn Titeln gleichauf mit dem am Saisonende scheidenden David Alaba Spieler-Rekordmeister.
Unter Flick-Nachfolger Julian Nagelsmann soll 2022 Meistertitel Nummer zehn am Stück folgen. Der künftige Vorstandschef Oliver Kahn fachte den Hunger jedenfalls sofort neu an. So eine Serie sei «noch keiner Mannschaft auf diesem Planeten gelungen», schwelgte Ex-Titan Kahn - jedenfalls nicht in einer der grossen europäischen Ligen.
Flicks Zukunft ist das andere grosse Thema. Das Tor zum DFB steht weit offen, auch wenn zur Nachfolge von Bundestrainer Joachim Löw aus seiner Sicht «noch nicht alles gesagt» ist. Aber alle Aussagen zielen dahin. Im ZDF-Sportstudio berichtete DFB-Vizepräsident Rainer Koch von «guten Gesprächen». Auch der FC Bayern wünscht sich inzwischen Flick als Bundestrainer. Mit dem DFB haben sich die Münchner sogar schon auf eine «smarte Geste» des Verbandes für einen Flick-Wechsel verständigt, wie Rummenigge verriet. Ein finanziell lukratives Spiel zwischen dem FC Bayern und der Nationalelf wäre wohl die Lösung.
Der einstige Löw-Assistent Flick will ja auch. Die Führungsquerelen beim DFB scheinen ihn nicht zu schrecken. Die Nationalelf kennt er als eigenen Orbit mit Vertrauten aus früheren Zeiten. Da könnte er wieder jene Wohlfühloase vorfinden, die er mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic beim FC Bayern nicht mehr vorfand. Im Sky-Interview schwärmte er von den Zeiten mit Oliver Bierhoff und Jogi Löw.
«Es gab eine enorme Wertschätzung, enorme Loyalität, die mich antreibt. Diese Dinge sind dort gegeben, ich habe ein tiefes Vertrauen zu Oliver Bierhoff», sagte Flick. DFB-Direktor Bierhoff wählt Löws Nachfolger aus. Flick ist in Europa ein gefragter Coach, er ist in einer starken Position. Er wird sich ein Arbeitsumfeld nach seinem Gusto und mit Personen seines Vertrauens schaffen wollen.
Im Glücksgefühl des Titelgewinns schloss er nicht mal eine spätere Rückkehr zum FC Bayern aus. Ottmar Hitzfeld oder Jupp Heynckes sind namhafte Beispiele. «Bayern München war schon immer mein Verein», bemerkte Flick. Erst war er Fan, dann Spieler, dann Trainer. «Diese zwei Jahre waren sehr wertvoll für mich», sagte er. Jetzt folgt etwas Neues. «Ich habe Lust, weiter Trainer zu sein», sagte Flick. Ob bei einem Verein oder Verband sei egal: Es müsse eine Mannschaft sein, «die in der Lage ist, Titel zu gewinnen». Das Nationalteam gehört für ihn in diese Kategorie, auch wegen der vielen Bayern-Spieler.