Ex-GC-Profi Toko: So tickt die Star-Liga in Saudi-Arabien
Unzählige Top-Stars wechseln aktuell in die Saudi Pro-League. Ex-GC-Profi Nzuzi Toko (32) wagte diesen Schritt 2018. Bei Nau.ch erzählt er von dieser Zeit.
Das Wichtigste in Kürze
- 2018 wechselt Nzuzi Toko von St.Gallen zu Al-Fateh in die Saudi Pro-League.
- Der heute 32-Jährige berichtet bei Nau.ch von den Eigenheiten der Wüsten-Liga.
- Mittlerweile hat Toko seine Profikarriere beendet und spielt beim FC Dietikon (1. Liga).
Mit Neymar wechselt Anfang Woche der nächste Superstar nach Saudi-Arabien. Was vor einem halben Jahr mit Cristiano Ronaldo angefangen hat, wird immer grösser. Für Mega-Summen wechseln Stars in die Saudi Pro League und kassieren dort gross ab.
Nzuzi Toko kennt diese Liga schon länger, genauer gesagt seit 2018. Damals wechselte der heute 32-Jährige vom FC St.Gallen zu Al-Fateh. Zuvor hat der 13-fache Schweizer U21-Natispieler bei GC, Brighton und in der Türkei gespielt.
Mittlerweile hat Toko seine Karriere beendet. Er wohnt mit seiner Frau Jennifer in der Region Aargau und ist frischgebackener Vater von Töchterchen Nzendaya. Fussball spielt er noch beim Erstligisten FC Dietikon.
Beruflich ist er im Verkauf für die AcuMax Med AG* tätig. Doch auch nach der Karriere sind seine Erinnerungen an Saudi-Arabien noch frisch. Im Gespräch mit Nau.ch berichtet er von seiner Zeit in der Wüste.
Wie kam es 2018 zum Wechsel nach Saudi-Arabien?
«Ich suchte nach dem FCSG eine neue Herausforderung. Colorado aus den USA oder eben Al-Fateh in Saudi-Arabien waren die beiden Optionen. Ich muss ehrlich sagen: Nachdem ich beide Offerten angeschaut hatte, musste ich nicht mehr lange überlegen. Das war finanziell eine ganz andere Dimension.»
Wie lief der Trainings-Alltag bei Al-Fateh ab?
«Es war sehr speziell für mich. Im Sommer war es um die 48 Grad heiss. Das Leben passiert eigentlich erst, wenn die Sonne untergeht. Die Menschen leben darum eher in den klimatischen Räumen und nicht draussen. Ich habe meine Tage oftmals im Hotelzimmer verbracht.»
«Was für mich ungewohnt war: Wir trainierten nur einmal – und das am Abend. Ich wollte aber meinen «europäischen» Profi-Rhythmus unbedingt behalten und verhindern, dass ich zunehme. Das passiert sehr vielen Spielern, die dorthin wechseln. Wenn man den ganzen Tag nur rumliegt, reicht ein Training am Abend nicht mehr. Darum bin ich jeweils am Morgen schon raus und habe zusätzlich Krafttraining gemacht oder einige Läufe absolviert.»
Wie stand es um die Disziplin bei Ihrem Club?
«Das Trainingszentrum, das wir hatten, war hervorragend ausgerüstet. Die besten Geräte stehen dort, haben aber Staub angesetzt. Sie werden einfach zu wenig benutzt. Es hängt aber auch davon ab, was für einen Trainer man hat. Unser Coach war Tunesier, der hat eher nach der arabischen Mentalität trainiert. Die dortigen Trainer sind weniger modern als die, die vielleicht aus Europa nach Saudi-Arabien wechseln. Diese setzen mehr auf Disziplin und Zusatzschichten im Kraftraum.»
«Wir haben am Abend trainiert. So, wie ich es von Europa her kannte, war ich eigentlich immer 1,5-2 Stunden vorher dort. Man hat noch etwas gegessen und sich auf das Training vorbereitet. Aber bei Al-Fateh sassen die meisten Spieler kurz vor dem Training noch im Auto. Sie haben telefoniert und sich erst ein paar Minuten vor Trainingsstart umgezogen. Aber eben: Solche Dinge hängen schon sehr stark vom Trainer ab.»
Welche speziellen Erlebnisse sind in Erinnerung geblieben?
«Unsere Trainings wurden grundsätzlich zwischen den Gebetszeiten eingeplant. Das war auch etwas völlig Neues für mich. Ich habe in einer Hotelanlage gewohnt, in der es Einkaufsmöglichkeiten, ein Gym und alles weitere hatte.»
«Dort habe ich einmal folgendes erlebt: Als ich Essen kaufen wollte, startete der Gebetsruf. Ich stand an der Kasse – doch der Verkäufer hat mich ignoriert und den Laden abgeschlossen – mit mir drin! Ich habe 20 Minuten alleine im Laden gewartet und verstand nicht, wieso. Es hat einen Moment gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich meine Einkäufe vor dem Gebet erledigen sollte.»
Wie haben Sie Land und Leute in Saudi-Arabien erlebt?
«Es ist halt alles ganz anders, als in der Schweiz. Die Leute sind speziell, aber sehr, sehr fussballbegeistert. Als Profi-Kicker wirst du aber schon sehr abgeschottet. Als ich bei Al-Fateh anfing, durften zum Beispiel Frauen nicht ins Stadion. Ich habe aber noch vor Ort erlebt, als es erstmals erlaubt wurde. Schon damals hat man ein wenig begonnen, sich zu öffnen. Auch zu dieser Zeit wurde den Frauen das Autofahren erlaubt. Für uns ist das unvorstellbar, dass das zuvor nicht erlaubt war. Das war sehr surreal.»
War damals der grosse Boom der Saudi-League schon absehbar?
«Schon damals kamen vermehrt grössere Namen in die Liga, vor allem aus Brasilien. Man hatte das klare Projekt, richtig in den Saudi-Fussball und in den Sport zu investieren. Aber dass es in solchen Dimensionen abläuft, mit Neymar oder Benzema, das hätte ich mir nicht vorstellen können.»
«Man muss wissen: Die Saudis haben vor der Meisterschaft immer einen Event, an dem sie nur die ausländischen Spieler präsentieren. Sie werden mit Privatjets in die Hauptstadt eingeflogen. Man will die Ausländer als Botschafter für den Fussball hervorheben.»
Werden Sie die Liga aus der Schweiz verfolgen?
«Die Entwicklung ist unglaublich. Als ich dort spielte, mussten meine Eltern mit Ach und Krach einen Stream suchen, um meine Spiele zu sehen. Und jetzt ist quasi überall an jedem Wochenende ein Spiel zu sehen. Ich werde sicher ab und zu mal reinschauen. Gegen das Team von Ronaldo habe ich schliesslich sogar mal ein Tor geschossen (schmunzelt).»
«Ich wurde immer gefragt, wie das Niveau in der Liga ist. Technisch ist das Niveau sehr gut, die Spieler sind zudem sehr flink, das hat man auch an der WM gesehen. Es hängt eben auch viel am Trainer. Einerseits wegen der Disziplin neben dem Feld, aber eben auch der taktischen Disziplin auf dem Platz. Darin sind die Saudis noch etwas im Rückstand. Dort hilft es, wenn ein europäischer Trainer unterstützt.»
Was halten Sie von den Summen, die in der Saudi Pro-League bezahlt werden?
«Als Fussball-Fan ist es natürlich eine Katastrophe, wenn solche Summen gezahlt werden. Handkehrum: Warum sollten die Spieler diese Summen nicht annehmen? Aber sind wir ehrlich: Diese Zahlen sind der Wahnsinn. Vor allem die Profis, die jetzt dorthin wechseln, haben ja bisher schon unglaublich gut verdient. Jetzt sprechen wir über Dimensionen, bei denen man sich fragen muss: Macht das überhaupt noch Sinn? Schliesslich macht es doch fast keinen Unterschied, wenn man so viel verdient hat, ob es 300 oder 600 Millionen sind.»
Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Mitspielern?
«Ja! Einer spielt jetzt sogar bei Al-Nassr mit Ronaldo. Ein anderer ist jetzt beim gleichen Club wie Firmino. Für die ist es natürlich der Wahnsinn, wenn plötzlich CR7 in der Garderobe neben ihnen sitzt. Ich persönlich finde es schön, können die Jungs das live miterleben. Aber es wäre wichtig, dass das ganze Land davon profitieren kann – nicht nur der Fussball. In Saudi-Arabien hat es auch viele Gastarbeiter, die für Hungerlöhne arbeiten. Ich hoffe sehr, dass es auch diesen besser geht.»
*Die Firma AcuMax Med AG vertreibt unter anderem Produkte im Bereich Gesundheit, Sport, Training und Reha. Sie möchte mit Toko zum Hauptlieferanten von Spitzensportvereinen und Fussballclubs werden.