Formel 1: Vorfahrt für Lando Norris? McLaren im Teamorder-Dilemma
Das Titelrennen in der Formel 1 spitzt sich immer weiter zu. Das bringt Verstappen-Jäger McLaren in Zugzwang: Kommt schon in Baku die Vorfahrtsregel für Lando Norris?
Vor der halsbrecherischen Fahrt durch die Strassen von Baku müssen Max Verstappens ärgste WM-Rivalen eine harte Entscheidung treffen. Verfügt McLaren acht Rennen vor dem Ende dieser unerwartet spannenden Formel-1-Saison eine Teamorder, um Lando Norris zum Weltmeister zu machen?
«Wir kämpfen gegen Max Verstappen, also denke ich, wenn wir einen Fahrer unterstützen wollen, müssen wir den auswählen, der in der besten Position ist», sagt Teamchef Andrea Stella.
Ab jetzt also Vorfahrt für den WM-Zweiten Norris im Team-Duell mit dem forschen Jungstar Oscar Piastri, alles für den Briten und den ersten McLaren-Fahrertitel seit Lewis Hamilton 2008? So einfach macht es sich das Traditionsteam dann doch nicht. «Ich denke, die Nummer-1-Rolle funktioniert gut als Schlagzeile, aber in der Realität ist es schwer, das umzusetzen», erklärt der Italiener Stella.
Der frühere Ferrari-Ingenieur weiss um die heiklen Debatten, die immer wieder um die zwischenzeitlich sogar verbotene Stallorder in der Formel 1 geführt werden. War er doch zu Beginn des Jahrtausends selbst dabei, als Michael Schumachers Triumphen bei der Scuderia alles untergeordnet wurde – auch dessen Teamkollege Rubens Barrichello. Jetzt steht Stella selbst vor der Frage, wie sehr er im Saison-Endspurt auf die Karte Norris setzen will.
Norris: Schon viele Punkte verschenkt
«Ich habe volles Vertrauen in die Mannschaft», sagt Norris vor dem Grand Prix von Aserbaidschan am Sonntag (13.00 Uhr). Auf 62 Punkte hat er seinen Rückstand auf Titelverteidiger Verstappen in der Gesamtwertung zuletzt eingedampft. Teamkollege Piastri liegt 44 Zähler hinter Norris, hatte zuletzt in Monza und zuvor auch schon in Ungarn aber vor dem Briten ins Ziel fahren dürfen.
«Ich würde nicht sagen, dass uns die Zeit davonläuft, aber sie schleicht so langsam dahin», sagt Norris. Und lässt noch einen weiteren sanften Hinweis an die Teamspitze folgen: «Wenn du um eine Meisterschaft kämpfst, dann willst du natürlich jede Kleinigkeit optimieren.»
Heisst: Norris hat keine Punkte mehr zu verschenken. Ohne seine Startschwächen und einige Taktikpatzer des Teams wäre er womöglich schon ganz nahe an der WM-Führung. Doch muss deshalb jetzt der ambitionierte Piastri anders als beim jüngsten Zweikampf in der ersten Runde von Monza für Norris bremsen?
«Wenn man seinen Teamkollegen dabei unterstützt, die Meisterschaft für das Team zu gewinnen, das ist ein enormer Boost», sagt Teamchef Stella.
McLaren-Historie: Gift-Duell Senna gegen Prost
Der einflussreiche McLaren-Geschäftsführer Zak Brown will sich öffentlich noch nicht von den sogenannten «Papaya-Regeln» verabschieden, die intern in Anlehnung an die Teamfarbe gelten. Hartes, aber faires Rennfahren, ohne dass sich die Autos berühren – das war bislang die einzige Vorgabe für Norris und Piastri.
Erste Priorität dürfte für Brown der Gewinn der Konstrukteurs-WM haben, die über die Verteilung der Milliarden-Einnahmen der Rennserie entscheidet. Es wäre der erste Teamtitel seit 1998. Nur noch acht Punkte liegt McLaren in diesem Klassement hinter Red Bull, nachdem Norris und Piastri in der abgelaufenen Europa-Saison 104 Zähler mehr einfuhren als Verstappen und dessen Stallgefährte Sergio Pérez.
«Wir haben immer drauf gesetzt, zwei Nummer-eins-Fahrer zu haben, so war der Weg von McLaren. Das kann auch mal schwer zu steuern sein, das haben wir bei Senna und Prost gesehen», sagt Brown. In ihrer gemeinsamen Zeit bei McLaren hatten die Topstars Ayrton Senna und Alain Prost ein vergiftetes Duell mit einer legendären Kollision im WM-Finale 1989 auf die Spitze getrieben.
Den besten Ausweg aus dem Stallorder-Dilemma kennt Norris selbst. «Am einfachsten ist, wenn ich die Rennen einfach gewinne», sagt der WM-Zweite. 232 Punkte sind maximal noch zu vergeben. Fährt Norris jedes Mal beim Grand Prix und den drei verbleibenden Sprintrennen als Erster über die Ziellinie, wäre er ganz aus eigener Kraft der nächste Formel-1-Weltmeister.