In welcher Sportart gibt es das schon? Die Athleten sind zum Greifen nah und es kostet nicht einmal Eintritt. Euphorische Fans am Strassenrand machen die Faszination Radsport aus, sind aber auch ein Sicherheitsrisiko. Gerade in den Bergen wird es mitunter grenzwertig.
Romain Bardet bahnt sich den Weg durch die Zuschauer in den Bergen. Foto: Yuzuru Sunada/BELGA
Romain Bardet bahnt sich den Weg durch die Zuschauer in den Bergen. Foto: Yuzuru Sunada/BELGA - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Der ultimative Wahnsinn steht bevor.
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Wenn auf dem 33,4 Kilometer langen Schlussanstieg nach Val Thorens hinauf am Samstag die Entscheidung über den Sieger der 106. Tour de France fällt, werden sich die Fahrer in einer schmalen Gasse durch zigtausende Radsport-Fans den Weg zum 2365 Meter hohen Alpen-Riesen suchen.

Die Grenze zwischen riesiger Euphorie und einem unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko ist fliessend bei der Frankreich-Rundfahrt.

«Bei der Tour ist es schon extrem. Es sind so viele Zuschauer am Rand, da sind natürlich auch Deppen dabei, die sich nicht unter Kontrolle haben oder betrunken sind. Da muss man extrem aufpassen», schildert Deutschlands Tour-Hoffnung Emanuel Buchmann seine Eindrücke und fügt hinzu: «Es ist natürlich ein Teil des Radsport-Wahnsinns, das macht auch die Faszination aus.»

In diesem Jahr ist alles noch einmal einen Tick spezieller, schliesslich kämpfen gleich zwei Franzosen um den Toursieg. So nah dran war die Grande Nation seit dem letzten Triumph von Bernard Hinault 1985 nicht mehr. Da wollen die Fans ihren Liebling Julian Alaphilippe am liebsten über den Berg schieben, wie am Galibier geschehen, als der Franzose fast aus der Balance geriet. Auch Pyrotechnik kommt immer mehr zum Einsatz, was den Fahrern oftmals die Luft nimmt.

Es werde immer so sein, dass der Radsport zum Anfassen sei, sagt Altstar André Greipel. Doch es müsse Grenzen geben, heisst es von der Tour-Organisation ASO, die eine Kampagne gestartet hat. «Respektiert die Fahrer», heisst es in dem Spot. Der Vorfall um Ex-Tour-Champion Vincenzo Nibali im Vorjahr ist noch in unschöner Erinnerung. Der Italiener war im Schlussanstieg nach Alpe d'Huez von einem Zuschauer zu Fall gebracht worden, als er mit seinem Lenker an einem Kameraband hängen blieb. Nibali erlitt einen Wirbelbruch.

«Der Selfie-Wahn hat zugenommen. Die Sicherheitsrisiken sind grösser geworden, nicht aus Böswilligkeit, aber aus Unachtsamkeit. Das nervt schon», sagte Tony Martin, der am Donnerstag nach seinem Tour-Ausschluss wegen einer Rangelei mit dem Briten Luke Rowe die Heimreise antreten musste.

In Zeiten von Social Media sind Handy-Fotos ein nettes Andenken von der Tour. Mit Alaphilippe auf einem Foto am Tourmalet: Welcher Franzose wünscht sich das nicht? Beim Giro d'Italia kam Miguel Angel Lopez auf der letzten Bergetappe durch einen nebenher laufenden Fan zu Fall. Der Kolumbianer revanchierte sich mit Ohrfeigen für den Störenfried.

Doch es sind nicht die einzigen Risiken, die den Fahrern am Strassenrand lauern. Wenn die Fans stundenlang vor ihren Campingwagen ausharren und auf die Fahrer warten, fliegt auch schon mal ein Sonnenschirm auf die Strasse oder eine Kühlbox steht im Weg. «Manchmal hofft man nur, dass der Kinderwagen im letzten Moment zurückgezogen wird. Da kann man nur an die Leute am Strassenrand appellieren, dass sie den nötigen Respekt vor der Geschwindigkeit haben», sagt Greipel.

Das hohe Tempo wird von den Zuschauern oftmals unterschätzt. Im Frühjahr kamen bei der Rundfahrt Tirreno-Adriatico zwei Fahrer aus dem Bora-Rennstall im Mannschaftszeitfahren bei Tempo 50 zu Fall, als plötzlich ein unachtsamer Mann die Strasse passierte. Fälle, die auch die Tour-Organisation nicht ausschliessen kann. Über 200 Kilometer lässt sich nun einmal die Strecke nicht komplett mit Absperrgittern absichern.

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