Anna Kiesenhofer ist eigentlich Mathematikerin und hat seit 2018 kein Team. Nun darf sich die Niederösterreicherin auch Olympiasiegerin im Strassenradsport nennen. Für Österreich ist es der erste Triumph im Radsport seit 125 Jahren.
Siegte beim Strassenrennen im Alleingang: Anna Kiesenhofer aus Österreich jubelt beim Überfahren der Ziellinie. Foto: Martin Rickett/PA Wire/dpa
Siegte beim Strassenrennen im Alleingang: Anna Kiesenhofer aus Österreich jubelt beim Überfahren der Ziellinie. Foto: Martin Rickett/PA Wire/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Anna Kiesenhofer fehlte nach ihrer historischen Fahrt zu Gold fast die Kraft zum Jubel.
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Die krasse Aussenseiterin schüttelte ungläubig den Kopf und liess sich schliesslich völlig ausgepumpt als Olympiasiegerin auf die Zielgerade des Fuji International Speedway fallen.

«Es fühlt sich unglaublich an. Selbst als ich die Ziellinie überquert hatte, habe ich mir gedacht: Ist es wirklich aus? Muss ich noch weiterfahren?», schilderte Kiesenhofer ihre Gefühlslage und ergänzte: «Ich war froh, dass ich nicht zu nervös war, bin einfach drauflos gefahren.»

Der Triumph der 30-Jährigen kam so überraschend, dass nicht mal die zweitplatzierte Annemiek van Vleuten sie auf der Rechnung hatte. Die Niederländerin fuhr jubelnd über die Ziellinie, glaubte, gewonnen zu haben. «Das wusste ich nicht. Ich habe mich geirrt», sagte die 38-Jährige enttäuscht, nachdem sie über Silber aufgeklärt wurde.

Angetreten als klare Aussenseiterin

Kiesenhofer ist nun Österreichs erste Radsport-Olympiasiegerin seit 1896. Damals siegte Adolf Schmal in Athen im 12-Stunden-Rennen auf der Bahn. In ihrer Heimat sprudelten nach der Fahrt in die Geschichtsbücher die Emotionen. «Anna Kiesenhofer, was für eine Leistung! Ich gratuliere sehr herzlich zu Gold im Radstrassenrennen der Damen. Die erste Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Grossartig!», twitterte Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Vor ihrem Gold-Coup hatte Kiesenhofer nur fünf Siege gefeiert, vier davon bei nationalen Meisterschaften. Seit 2018 ist sie ohne Team. Dass sie eine gute Zeitfahrerin ist, war bekannt. Doch diesen Ritt in der Hitze am Mount Fuji hatte ihr niemand zugetraut.

Dabei war Kiesenhofer eigentlich nur angetreten, um zu verlieren. Zu gross schien die Übermacht der Niederländerinnen, die bei Olympia 2012 und 2016 und auch den vergangenen vier WM-Rennen dominiert hatten. Also griff sich die Mathematikerin ein Herz und suchte ihr Heil in der Flucht. Erst als Kiesenhofer und zwei Mit-Ausreisserinnen über zehn Minuten Vorsprung hatten, reagierten die Favoritinnen - zu spät.

«Das war natürlich eine Überraschungssiegerin. Man muss immer damit rechnen, dass jemand durchkommt. Das ist heute passiert», sagte Lisa Brennauer. Die deutsche Meisterin zeigte Unverständnis, dass nur ihr Team und die Niederlande sich um die Verfolgung gekümmert hatten.

Kiesenhofer fuhr unbeirrt weiter, hängte ihre Fluchtgefährtinnen ab und kam als Solistin auf die Highspeed-Rennstrecke an Japans berühmtesten Berg. Bisher waren ihre akademischen Leistungen - ein Mathematik-Master der Universität Cambridge und ein Doktortitel der Universität von Barcelona - das Aushängeschild in ihrem Lebenslauf. Das dürfte sich nun als Olympiasiegerin geändert haben.

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