Roger Federer: Psychologe erklärt positive Effekte seiner Verletzung
Das Wichtigste in Kürze
- Roger Federer bezwang Tennys Sandgren an den Australian Open in einem wahren Thriller.
- Sportpsychologe Jan Rauch analysiert für Nau.ch, welche Folgen das haben kann.
- Am Donnerstag spielt Federer den Halbfinal gegen Djokovic.
Der Australian-Open-Viertelfinal zwischen Roger Federer und Tennys Sandgren hatte alle Qualitäten eines Hollywood-Krachers.
Nach einem starken ersten Satz ist Federer plötzlich völlig von der Rolle. Eine Verletzung plagt ihn, er muss sich gar behandeln lassen. In der Folge wehrt der Maestro gleich sieben (!) Matchbälle ab – und gewinnt nach fünf Sätzen.
Das sagt der Sportpsychologe
Der Schweizer Sportpsychologe Jan Rauch erklärt gegenüber Nau.ch, was sich in den Köpfen der beiden Athleten abspielt.
Wie weit geht die Reise von Federer in Melbourne?
Nau.ch: Was passiert im Kopf von Tennys Sandgren, wenn er gegen Federer sieben Matchbälle vergibt?
Jan Rauch: Es kommen Gedanken auf: «Ich bringe das nicht zu Ende, das gibt es ja nicht – was, wenn ich das noch verliere?» Die haben negative Auswirkungen auf die Konzentration und die Motivation. Die Motivation leidet, wenn man das Gefühl hat, für die Leistung nicht belohnt zu werden. Und bei hochautomatisierten Sportlern leidet die Leistung, wenn die Konzentration sinkt.
«Zweischneidiges Schwert»
Nau.ch: Was löst es aus, wenn man sieht – Roger Federer ist verletzt, jetzt kommt meine Chance?
Jan Rauch: Solche Situationen sind immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits kann es positive Auswirkungen auf das Selbstvertrauen haben. Da wirkt ein vermeintlich übermächtiger Gegner plötzlich schlagbar.
Andererseits hat es immer auch Auswirkungen auf die Konzentration, und es kann den eigenen Matchplan beeinflussen. Wenn man eine Verletzung ausmacht, weicht man eventuell von der geplanten Taktik ab. Statt einfach den Plan weiterzuspielen, fängt man dann an, nach der Schwäche zu suchen.
Nau.ch: Wenn Sie Sandgrens Sportpsychologe sind – was sagen Sie Ihrem Athleten morgen früh? Wie bauen Sie ihn wieder auf?
Jan Rauch: Es wird darum gehen, zu schauen: Was hat man gut gemacht? Für Sportler steht oft das Resultat im Mittelpunkt, und das ist bei einer Niederlage ja nicht gut.
In der Sportpsychologie arbeitet man deshalb oft mit Zielhierarchien. Also kleineren Zielen auf mentaler, taktischer oder technischer Ebene.
Wäre ich Sandgrens Sportpsychologe, würde ich also den Fokus auf das lenken, was gut gelungen ist. Aber natürlich darf man auch ein bisschen trauern. Es ist eine heftige Niederlage, wenn man sich schon mit einem Bein im Halbfinal gesehen hat. Im fünften Satz hat er dann schon ein wenig gebrochen gewirkt.
Profitiert Roger Federer gar vom Krimi?
Nau.ch: War es für Roger Federer auch Taktik, sich in der Kabine behandeln zu lassen?
Jan Rauch: Nein, das glaube ich nicht, diese Medical Timeouts sind üblich im Tennis. Und Federer sagte ja schon selbst, er finde es unfair, das als taktisches Mittel zu nutzen. Aber es hat natürlich positive Auswirkungen: Es gibt Ruhe und die Möglichkeit, sich zu sammeln. Von daher ist es psychologisch eher ein kleiner Vorteil für Federer als ein Nachteil für seinen Gegner.
Nau.ch: Welchen Effekt hat es auf Roger Federer selbst, wenn er so ein Krisen-Match gewinnt? Auch im Hinblick auf das Spiel gegen Djokovic.
Jan Rauch: Für ihn ist es motivational natürlich sehr schön, da kann er gegen Djokovic sehr viel mitnehmen. Er hat sich darauf verlegt, lange Bälle zurückzuspielen und den Gegner so zu zwingen, den Punkt zu suchen. Das gibt Zuversicht für zukünftige, brenzlige Situationen, wenn er sieht: Ich kann auf mein Standardrepertoire zurückgreifen. Das kann extrem hilfreich sein, wenn man wieder einmal in so einer Lage ist – oder auch auf der Gegenseite.